»Tischgesellschaft mit Zeitverkostung« im Theater Landungsbrücken und im FAT

Fünfzig Jahre 68, einhundert Jahre Novemberrevolution, zweihundert Jahre Karl Marx: Zeit für einen Blick nach vorn und ein paar Gedanken über eine gerechte Weltordnung. Dass dies keine gerechtere meinen kann, sondern nur eine gänzlich andere, versteht sich von selbst. Drei Theaterkollektive laden deshalb nun zu »Tischgesellschaften mit Zeitverkostung« in das Theater Landungsbrücken und zum Frankfurter Autorentheater (FAT) in der Brotfabrik ein.
»Unzufrieden mit dem gesellschaftlichen Istzustand« haben das Wu Wei Theater Frankfurt, Vereinigte Vergangenheiten (München) und helfersyndrom (Offenbach) zum Sturz der herrschenden Ordnung einen »Pakt der Generationen« zwischen den Altlinken und den Digital Natives geschlossen. Ihre soziale Utopie 2.0 strebt die Symbiose der »Technikutopien des Computers mit den Orakeln der politischen Kämpfer von gestern« an, sprich: von Internet + Rätedemokratie.
Das mag nicht sofort sexy klingen, weil es zunächst recht abstrakt darum geht, eine neue Zeit-Rechnung zu postulieren, in der nicht mehr das Geld, sondern Zeit die Währung der Zukunft wäre. Basierend auf Karl Marx bemisst sich der Wert eines jeden Produkts aus der für seine Herstellung durchschnittlich gesellschaftlich benötigten Zeit (Das Kapital Band 1). Die »Tischgesellschaft« versteht sich allerdings als »theatrale Versuchsanordnung«, innerhalb derer sich eine alternative gesellschaftliche Wirklichkeit spielerisch erproben und schmecken ließe. Und das klingt dann schon konkreter.
Bis zu 40 Personen pro Vorstellung sind deshalb geladen, Platz zu nehmen. Zunächst, soviel sei verraten, nicht am Tisch, sondern im freien Raum auf Stühlen. Dort drehen das Wu Wei und der Pianist Dietrich Stern mit Liedern des Aufbruchs und der mobile Roboter D2R2 mit bösen Zitaten aus der Revolutionsgeschichte auf. Erst im nächsten Schritt wird der Tisch gemeinsam eingerichtet und gedeckt zum »Rehearsal Dinner«, einer vielschichtigen und multimedialen Einübung in eine andere Gesellschaftlichkeit. Aber es gibt auch analog zu essen und trinken.
Es scheint nicht verkehrt, schon vorab ein wenig vom Werk des geistigen Mentors des Unterfangens, Dietmar Dath, und seinem Roman »Die Deutsche Demokratische Rechnung« zu kosten, werden Autor und Buch doch explizit im Untertitel »Deutsches Demokratisches Rehearsel Dinner: frei nach Dietmar Dath» zitiert. Untertitelt mit »Eine Liebeserzählung« handelt es von Vera, der hochintellektuellen Tochter des Kommunisten und Mathematikers Otto Ulitz, dessen Arbeit an dem unter Ulbricht erstellten und von der Sowjetunion gekippten Neuen Ökonomischen Systems für die DDR, ihr Vermächtnis wird. Eine computerbasierte Steuerung von Produktion und Konsum als sozialistische Antwort auf den zerstörerischen Wildwuchs des Kapitals.

gt (Foto: © Niko Neuwirth)
Termine Landungsbrücken: 8., 9. November
Termine FAT: 23., 24., 25. November, jeweils 20 Uhr
www.landungsbruecken.org
www.fat-web.de

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