Ein letzter Tango in Cannes
»Verführt und verlassen« von James Toback
Wenn er auf sein Leben zurückblicke, bestehe es zu 95 % daraus, Geld für Filme aufzutreiben, und zu 5 % daraus, sie tatsächlich zu machen, zitiert der Film zu Beginn Orson Welles. Wenn man Welles’ Drehzeit für Auftritte in so vielen dürftigen Filmchen zum Geldverdienen dazuzählt, dürften die 95 % nicht einmal übertrieben sein.
Das Beispiel Orson Welles zeigt schon die Janusköpfigkeit der Filmbranche. Einerseits geht es um Kunst –im Selbstverständnis der Filmindustrie auch bei den Blockbustern – und auf der anderen Seite ums Geschäft. Denn Filme sind teuer, einige Millionen an Dollars braucht man schon heutzutage, und die wollen die Geldgeber wiedersehen, möglichst noch mit einem Gewinn obendrauf.
In »Verführt und verlassen« begeben sich Regisseur James Toback (»Geld und Liebe«, Black and White«) und Alec Baldwin auf Investorensuche. Sie wollen einen Film im Irak drehen, über einen frustrierten Kämpfer und eine liberale Journalistin. Ihr großes Vorbild ist »Der letzte Tango in Paris«. In diesem Film habe Bernardo Bertolucci das Dunkelste aus seinem Hauptdarsteller Marlon Brando herausgeholt, doziert Toback. Zum Beweis muss man zwei ekelhafte Monologe Brandos aus dem Film ertragen. Später wird man Bertolucci sagen hören, Brando habe fünf Jahre mit ihm nicht gesprochen, weil er sich von ihm ausgetrickst fühlte.
Wenn man die Ausschnitte aus dem »letzten Tango« überstanden hat, wird es amüsanter. Die beiden »Helden« entern 2012 das Internationale Filmfestival von Cannes und suchen dort Investoren für ihren »Last Tango in Tikrit«, wie der geplante Film heißen soll. Ein Drehbuch gibt es noch nicht, dafür stehen die zwei Hauptdarsteller fest: Neve Campbell und eben Alec Baldwin. Doch beide sind keine Publikumsmagneten, sagt beispielsweise Financier Avi Lerner. Fünfzig Millionen sind nicht drin, allenfalls drei bis fünf, heißt es. Man braucht Stars, um Geld zu bekommen. Damit geht es los. So wie Cannes Stars braucht, um das Publikum anzulocken, brauchen Produzenten große Filme mit großen Stars, um die kleinen mitzutragen, die man heutzutage Arthouse-Filme nennt und die bei Festivals in der Regel die Preise bekommen.
An der Côte d’Azur, dem »lichten Ort für zwielichtige Typen« (William Somerset Maugham), müssten sie doch aufzutreiben sein, die Finanziers. Toback und Baldwin befragen einige von ihnen im berühmten Carlton Hotel von Cannes, gehen auf den Filmmarkt, treiben sich auf Charity Parties herum und suchen auf eleganten Yachten ihr Glück. Doch siehe da, je mehr Geld die Superreichen haben, umso zaghafter werden sie, wenn es darum geht, etwas davon für einen Film rauszurücken. (Vermutlich auch ein Grund fürs Crowdfunding.)
Nebenbei erfährt man von Roman Plolanski, dass die Produzenten seinerzeit einen optimistischeren Schluss für »Chinatown« vorgeschlagen haben, und manches andere zu seinen Filmen. Martin Scorsese und Francis Ford Coppola erzählen von ihrer Arbeit und kommen zu dem wenig überraschenden Schluss, dass früher die Bedingungen fürs Filmemachen besser waren. Von den Jüngeren werden u.a. Ryan Gosling und Bérénice Bejo interviewt, die beide nicht über die schlechten Aussichten für gute Filme jammern (immerhin hat Bejo in »The Artist« und »Le passé – Das Vergangene« mitgewirkt). Die Interviews sind in einzelne Häppchen zerhackt und mit Splitscreen versehen. Da jagt ein Filmausschnitt den anderen, denn Toback ist sichtlich bemüht, keine Langeweile aufkommen zu lassen. Eine irakische Variation vom »Letzten Tango in Paris« allerdings braucht nun wirklich kein Mensch.