War da was? (129)

Nun ist es also passiert: die Schirmherrin der deutschen, wenn nicht gar europäischen Raute ist mehr oder weniger abgewählt worden. Stimmt natürlich nicht ganz, sie hat ja gar nicht mehr kandidiert und konnte von daher gar nicht abgewählt werden. Und stimmt natürlich auch insofern nicht, als nun die Raute-Plagiatoren um jenen Sessel im Kanzleramt streiten, der die wohlfeile Politik des »Schaun wir mal« als neuerliche Staatsräson symbolisiert. Und dennoch stehen wir vor einer Zeitenwende, zumindest einer völligen Neuorientierung politischer Versprechungskultur. Sozusagen in leichter, aber doch entscheidender Abwandlung des Ton-Steine-Scherben-Songs: »Alles verändert sich, wenn du nichts änderst«. Die andere Interpretationsart ist die des sprichwörtlichen »wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass«.

Was also passiert jetzt mit uns? Wenn man den neuen Raute-Herren glauben kann, dann wird ja jetzt alles anders, vor allem besser. Entlastung der hart arbeitenden Mittelschicht (wie immer die definiert sein mag) – da sind sich alle Protagonisten des nun beginnenden Bäumchen-wechsel-dich-Spiels einig. Hilfe für die da unten und Steuersenkungen für die da oben – da scheiden sich zwar die Wahlkampfgeister, kriegen aber sicherlich einen allseits befriedigende Formelkompromiss hin, der die vielbeschworene bürgerliche Mitte wieder in den seligen Ruhezustand des Weiter-So versetzen wird. Jene bürgerliche Mitte, die laut Umfragebekenntnis den Kampf gegen den Klimawandel als das vordringliche Ziel der Politik ansieht, bei der Aussicht auf 16 Cent mehr fürs Benzin und 130 km/h auf der Autobahn aber schon den grün-sozialistisch Unterdrückungsstaat kommen sieht. Da lieben wir doch die Neu-Rautianer mit ihrer klaren Ansage zum Kampf gegen den Klimawandel: »Nur keine Bange, ist zwar alles nicht sehr schön, aber wir kriegen das hin, ohne dass ihr euch einschränken müsst«.

So können wir uns also nun darauf freuen, dass wir bis 2040 nahezu klimaneutral mit Elektro-SUVs die Erderwärmung gestoppt haben, die Eisberge hören auf zu schmelzen und das alles ohne teures Benzin (braucht dann ja niemand mehr), überall mühlen die Windräder, die Dächer sind übersät mit Photovoltaikmodulen, Kohlekraftwerke sind endgültig Vergangenheit, alle Kumpels arbeiten nun in den Reinräumen digital aufgemotzter Batteriefabriken, die dank Lindnerschen Erfindergeistes ganz ohne Lithium auskommen. Die soziale Schere ist dann auch dank Olaf Scholzens Einsatz fast völlig geschlossen und das alles, ohne den Gutverdienenden und Wohlhabenden unnötigerweise an den Geldbeutel zu gehen.

Der Aufbruch in die schöne neue Rentnerwelt steht uns bevor, hat doch die Generation 60+ dafür gesorgt, dass sie ihre (zeitlich limitierte) Zukunft so ganz ohne Einschränkungen und irgendwelche Verbote ihres Alltagshandelns mit dem neuen Herrn im Kanzleramt gestalten kann. Als hätte es den Klimastreik mit hunderttausenden jungen (aber zugegebenermaßen auch vielen älteren) Menschen zwei Tage vor der Wahl nicht gegeben, als wäre uns die Zukunft unserer Kinder und vor allem Enkelkinder zugunsten gegenwärtiger Wohlfühlnischen völlig egal, ist den Herren von gestern die Verantwortung für morgen übertragen worden. Ob die in ihren Erwartungen arg gedämpften Grünen da etwas gegen die Scholz/Laschet-Lindner Combo grundsätzlich durchsetzen können, ist mehr als fraglich. Grüne Kosmetik hilft uns nicht weiter. Statt Fridays dann vielleicht doch Mondays-to-Fridays for Future.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Jochen Vielhauer

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