Schriften, Schriften, Schriften; Vitrinen, Vitrinen, Vitrinen; und ein paar Zeichnungen und Gemälde vielleicht noch – so hat man viele der Ausstellungen im Goethehaus in Erinnerung, dessen Träger, das 1859 gegründete Freie Deutsche Hochstift, eine einmalige Sammlung zur Literatur der Deutschen Romantik zusammengetragen hat. Originale von Brentano, Kleist, Eichendorff, den Arnims, Frau von Stein, immer wieder von Goethe und vielen, vielen anderen, die für begrenzte Zeit zu gegebenen Themen und Anlässen zu sehen waren. Wie ein Museum der Romantik wohl aussieht, das solche Wegbereiter hat?
Völlig, völlig anders, auch wenn es weiter ganz wesentlich um die handschriftlichen und bildlichen Zeugnisse der Romantik geht. Der große Schirm über der Epoche ist hier allerdings weit gespannt, gerade was die Mittel ihrer Darstellung angeht. Die in Deutschland mit der Großen Französischen Revolution aufgehende Gegensonne der Aufklärung spiegelt sich nicht nur in allen Sparten der bildenden Kunst, sondern auch in den Naturwissenschaften, wie uns im Obergeschoss Experimente des Physikers Johann Wilhelm Ritter demonstrieren. Ob man schon beim Antrittsbesuch soweit kommt, ist nicht ausgemacht. Das Romantik-Museum ist derart reichhaltig, vielfältig und virtuos bestückt, dass es in einem Durchlauf unmöglich zu erfassen wäre.
Und dabei haben wir noch kein Wort über den großartigen Bau verloren, den sich der Magistrat dieser Stadt vor knapp zehn Jahren plötzlich sparen wollte und damit 1.500 Spender*innen auf den Plan gerufen hat.
Betritt man das durch eine Gartenfensterfront auf der Gegenseite hell aufscheinende Foyer, so findet sich rechts zum Goethehaus hin eine Jahrhunderte alte mächtige Brandmauer, die selbst die Bombardements im Zweiten Weitkriegs überstand. Ihre Freilegung brachte einen Fenstersims zu Tage, der über 500 Jahre alt sein muss und für den Architekten, Christoph Mäckler, »Romantik pur« bedeutete.
Kontrastiert wird die braunrote hohe Wand durch die mit Tausenden von farbigen Buchrücken leuchtende Bibliothek. Eine Referenz an die in der Romantik kultivierte Passion des Büchersammelns, die wohl erst in diesen Jahren der Digitalisierung eine gravierende Zäsur erfährt. Im Boden des Foyers sind zusammen mit den aus diversen Lehmarten gebrannten farbigen Ziegelsteinen auch gemahlene Trümmer des zerstörten Frankfurt eingelassen, die aus dem nun ersetzten Abrisshaus des Deutschen Börsenvereins stammen. Man steht und geht schon hier auf Stein gewordener Frankfurter Geschichte.
Spektakuläres Highlight des baulichen Ensembles ist fraglos die sich steigend verjüngende »Himmelsleiter« zu den Ausstellungsräumen. Der Blick über die blau beleuchteten Stufen dieser imposanten Treppe kündigt einen Gang ins Endlose an. Eine visuelle Illusion, die akustisch mit Vogelstimmen untermalt wird. Dass uns ein Vogelnest unten am Beginn der 66 Stufen nach der Ankunft oben etwas anderes erwarten lässt als ein simples Maschinchen, das Geräusche produziert, passt durchaus ins romantische Konzept. Die Desillusionierung sei ein zutiefst romantisches Motiv, habe er gelernt, meint Christoph Mäckler dazu – scheinbar ganz ohne Ironie.
Vorher aber, im ersten Stock, finden sich – vergleichsweise konventionell – die Vorboten der Romantik platziert. Gemälde aus der Zeit des frühen Goethe, mit vielen Portraits und mit Bildern im Kontext der Italienischen Reise (inklusive einer Goethe-in-Kampagnien-Kopie), sowie ein dem Johann Heinrich Füssli gewidmeter Raum, in dem wie wir seinen im Hochstift-Besitz befindlichen »Nachtmahr«, der vor ein paar Jahren die Städel-Schau »Schwarze Romantik« einleitete, die »Wahnsinnige Kate« und andere Werke des Schweizer Malers finden.
Vom Vorabend der Romantik steigen wir in der chronologisch angelegten, aber nicht zwingend so zu befolgenden Schau zu den eigentlichen Romantikern auf – von E.T.A. Hoffmann, der als Erster den Begriff Romantik benutzt haben soll, über die Schlegel-Brüder, Goethe natürlich, Tieck, Novalis und seine Blaue Blume, bis zu Heine, Madame de Stael und Bettina von Arnim. Exakt 35 Stationen bringen uns deren Positionen näher. Auch in Vitrinen, doch völlig anders als gewohnt. Sie sind in multimediale interaktive Installationen integriert, und müssen erst, unter einem aufklappbaren Deckel verborgen, von den Besuchenden entdeckt werden. Projektoren veranschaulichen die Schriften auf der Nebenwand, Kopfhörer erläutern oder zitieren sie, dazu gibt es in einer verblüffenden Vielfalt kleine Filme, Grafiken, Spiele und Animationen. Oder auch einen Zitaten-Spiegelwald mit Romantik-Definitionen. Und jede Menge neuer Erkenntnisse.
Wer hätte gedacht, dass die Romantik ganz wesentlich auf Wohngemeinschaften rekurriert? Dabei nehmen sich die Duos Friedrich Schlegel/ Friedrich Schleiermacher in Berlin und Clemens Brentano/Achim von Arnim in Heidelberg sehr kommod gegen das aus, was dann in Jena zusammenfand. In einer witzigen Figurenanimation wird die erste deutsche Kommune grandios in Szene gesetzt. Mit besagtem Friedrich Schlegel, seinem Bruder August Wilhelm und ihren jeweils mit Kindern eingezogenen älteren Beziehungen Dorothea Veit und Caroline Schlegel. Auch tolerierte Liebhaber soll es gegeben haben.
So weit, so sehr gut, aber längst nicht genug. Um dieses wunderbare Museum, das noch viele Überraschungen, wie den Blauen Erker, oder ein Guckfenster in den Osten der Stadt bereithält, auch nur halbwegs zu erfassen reichte vom laienhaften Chronisten abgesehen auch ein monothematisches Strandgut nicht aus. Wir sagen es mit der FAZ: Das (erste und einzige) Deutsche Romantik-Museum ist nichts weniger als ein »museales Juwel« (FAZ).
Lorenz Gatt (Foto: © FDH-AP)
Di., Mi., Fr.–So., 10–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.deutsches-romantik-museum.de