Warum der Widerstandskämpfer Karl Anders bei der »Frankfurter Rundschau« totgeschwiegen wird (Teil 3) – Von Alf Mayer

Unnachahmlich, unsere »Frankfurter Rundschau« in Sachen ihres totgeschwiegenen Widerstandskämpfers Karl Anders und der scheibchenweise Anerkennung seiner Wichtigkeit für dieses Presseorgan. Jetzt am 11. September (of all days) wurde sein Name zum ersten Mal seit August 1957 wieder öffentlich genannt: beim Römer-Empfang zum 80. Geburtstag der Zeitung. Im Bericht darüber schrieb Chefreporter Pitt von Bebenburg: »Auch Ann Anders ist da, die frühere Frankfurter Grünen-Politikerin und Tochter des ehemaligen FR-Verlagsleiters Karl Anders – dessen Rolle dank ihrer Hartnäckigkeit zum Jubiläum wiederentdeckt worden ist. Anders hatte die FR von 1953 bis 1957 gemeinsam mit Karl Gerold geleitet und war bisher in der Geschichtsschreibung aus unbekannten Gründen nicht erwähnt worden.«
Nun, nur Hartnäckigkeit alleine war es wohl nicht, die nun zur »Wiederentdeckung« führte. Es waren auch die Veröffentlichungen hier im »Strandgut« und im Online-Magazin »CulturMag«. Aber einzuräumen, dass anderswo besser recherchiert wird als beim »Qualitätsblatt FR« (Eigenwerbung), das scheut sich Herr von Bebenburg. Was die »unbekannten Gründe« angeht, warum Karl Anders in der Geschichtsschreibung der »Rundschau« nicht erwähnt wird, hier nun gerne hieb- und stichfest belegbare Nachhilfe für den Chefreporter und sein Blatt.

Noch immer übrigens ist, Stand 16.09.2025, in »80 Jahre Frankfurter Rundschau – eine Chronik« folgende Falschdarstellung online zu lesen: »1954: Herausgeber Arno Rudert stirbt. Seine Witwe behält ein Viertel der Anteile am Druck- und Verlagshaus, wie das Unternehmen seit 1948 heißt. Gerold ist nun in einer Person alleiniger Herausgeber, Verleger und Chefredakteur.«

Tatsache aber ist: 1954 herrschte Chaos bei der »Frankfurter Rundschau«, sie befand sich wirtschaftlich am Abgrund: die Baukosten für das neue Rundschau-Haus an der Großen Eschenheimer waren überzogen, die Kreditlast erdrückend, der Kreditrahmen zu eng. Die Witwe Rudert blockierte und prozessierte, wollte ihre Anteile am liebsten an ein anderes Zeitungshaus verkaufen. Dann meuterten auch noch der technische Leiter Max Racky und der kaufmännische Leiter Peter Schönfeld. Sie konfrontierten Karl Gerold mit einem Übernahmevorschlag, der ihn degradiert hätte. (Liegt mir vor.)
Und noch eines kam hinzu, ich habe mich darüber bereits mit Richard Meng, dem Kuratoriumsvorsitzenden der Karl-Gerold-Stiftung, austauschen können. Er hat, und das verstehe ich, erhebliche Bedenken, der Person Gerold allzu nahezutreten. In seinen Journalismus-Seminaren an der FU Berlin hat der ehemalige stellvertretende FR-Chefredakteur es immer strikt abgelehnt, in der journalistischen Beschreibung von Politikern deren private Dinge aufzurufen, soweit sie nicht direkt deren Politik beeinflusst haben. Wann aber hört bei einer Geschichtsschreibung solch ein Persönlichkeitsschutz auf? Ab wann kann und muss der historischen Wahrheit der Vorzug gegeben werden?
Karl Gerold ist seit über fünfzig Jahren tot, er hat meines Wissens keine Nachfahren. Und so leid es mir tut, seine cholerische Veranlagung und seine Alkoholkrankheit haben die Tätigkeit als Verleger der »Frankfurter Rundschau« sehr wohl mitbestimmt. Auch das Ende der Partnerschaft mit Karl Anders. Ich kann das umfänglich mit den Akten aus dem Gerichtsverfahren belegen.
In der zehnseitigen Klageschrift vom 9. Oktober 1957 »Anders gegen Druck- und Verlagshaus« heißt es: »Arno Rudert starb am 27.3. 1954. Herr Gerold, der sich im wesentlichen um die Redaktionsangelegenheiten kümmerte und von den wirtschaftlichen Dingen wenig verstand, hatte noch zu Lebzeiten des Herrn Rudert unerfreuliche Auseinandersetzungen mit diesem, die sich nach Ruderts Tod mit der Witwe fortsetzten. Es kam zu einer Klage (…). Dazu kam, dass der Kreditbedarf der Beklagten (das ist der Verlag der FR), die seit Jahren unter Kapitalmangel gelitten hatte, immer dringlicher und kritischer wurde. Die damalige Kreditgeberin, eine Frankfurter Großbank, drängte auf Abdeckung der gegebenen Kredite und auf Einhaltung der übernommenen Rückzahlungs-Verpflichtungen. (…) Zum anderen musste ein tüchtiger und energischer Fachmann gefunden werden, der anstelle von Herrn Rudert die Geschäftsführung (…) übernahm und der zugleich das Vertrauen der neuen kreditgebenden Bank genoss. (…) Die Situation wurde immer schwieriger, Herr Gerold war ihr in keiner Weise gewachsen. Das Weiterbestehen der Frankfurter Rundschau war gefährdet. Der Bankkredit von 1,6 Millionen DM war zum 1.9.1954 gekündigt. Man wusste nicht, woher man das Geld nehmen sollte.«

In dieser Situation holte Gerold dann Karl Anders als neuen Partner ins Boot. Sie kannten sich seit 1949, waren sogar befreundet. Gerold hatte Anders schon einmal zur Zeitung holen wollen, der aber hatte abgelehnt, wollte das auf keinen Fall als Angestellter. Höchstens gleichberechtigt. Nun war es so weit. Wieder die Klageschrift: »Am 17.7.1954 trat der Kläger sein Amt, mit kommissarischen Vollmachten des Herrn Gerold ausgestattet, an. Herr Gerold nahm einen längeren Urlaub. Die als neue Kreditgeberin eintretende Bank war nunmehr im Gegensatz zu vorher – ›Herrn Gerold geben wir keinen Pfennig‹ – bereit, einen Kredit von 2 Millionen DM zu gewähren. Damit war die Beklagte gerettet. Herr Gerold trat einen Teil seines Geschäftsanteiles an den Kläger ab. Der Kläger wurde zum Gesellschafter. Außerdem sollte der Kläger auf Lebenszeit Geschäftsführer des Beklagten werden. Die entsprechenden Verträge wurden geschlossen …«

Der langfristig auf zehn Jahre angelegte Kredit der BfG war explizit und samt Bürgschaftsurkunde mit dem Namen Karl Anders verbunden. Er war der Vertrauensmann der Bank im Unternehmen, noch durch zwei Prozessinstanzen am Ende war immer ein Anwalt der BfG mit involviert. (Und da spricht die Gerold-Stiftung jetzt am 14. August 2025 noch herablassend von einem »ehemaligen Mitarbeiter«.)

Weiter im amtlichen Dokument: »Mehr als zwei Jahre überließ Herr Gerold dem Kläger völlig die geschäftliche und technische Leitung des Betriebes, der rund 1.000 Personen beschäftigt und einen Jahresumsatz von 25 Millionen hat. Unter Aufbietung aller Kräfte verbesserte sich die Lage des Unternehmens in den letzten Jahren. Bedingt durch betriebliche Unzulänglichkeiten und die verschiedene Auffassung, wie sie zu beheben seien, kam es zu gelegentlichen Unstimmigkeiten zwischen den beiden Geschäftsführern, wie sie in jedem Betrieb vorkommen. Sonst war die Zusammenarbeit durchaus gut, was bei der schwierigen, zu Temperamentsausbrüchen neigenden Persönlichkeit des Herrn Gerold immerhin bemerkenswert ist.«

Neben der erfolgreichen Führung der Geschäfte zeitigte die Arbeit von Karl Anders der der »Rundschau« durchaus auch publizistische Spuren in der Zeitung. Sein Ansehen bei den Schriftstellern des Exils und seine verlegerischen Verbindungen in den angelsächsischen Raum trugen viele Früchte. Auch die Sonder-Beilage zum jetzt voll funktionierenden Rundschau-Haus trug deutlich seine Handschrift. (Samt 24 Seiten als »Zeit im Bild«-Sondernummer sowie die damals sensationelle vierfarbige Tiefdruck-Beilage. Ebenso die 60-seitige Ausgabe zu »Zehn Jahre Wiederaufbau in Frankfurt«.) Im Online-Magazin »CulturMag« habe ich das ausführlicher dargestellt. Siehe dort: »Die ›Rundschau‹ im Jahr 1955, fern wie der Mars.«

Karl Anders war es und nicht Karl Gerold, den die hauseigene Geschichtsschreibung immer noch als »starken Mann« tituliert, der das Geschäftsmodell einer Geld verdienenden Druckerei organisierte und orchestrierte, was perspektivisch dann den Druckwerk-Neubau in Neu Isenburg und damit all die redaktionelle Unabhängigkeit ökonomisch ermöglichte, von dem die FR noch bis fast ins neue Jahrtausend profitiert hat.

Aber dann, Gerold war mit neuem Selbstbewusstsein aus einer Entziehungskur zurück – keineswegs der ersten –, kam es im Juli/August 1957 binnen weniger Tage zu etwas, das man leider nicht einmal einen »Bruch« nennen könnte. Es war ein Treuebruch, der Karl Anders überraschte und erschütterte. Es war ein Verrat an ihrer Partnerschaft und an all jenen Werten, für die der öffentlich gern hochmoralische Karl Gerold eigentlich bis heute steht. Die Gerichtsakten – ergänzt mit den Beweisanträgen beider Seiten, eidesstattlichen Aussagen, Memoranden und Briefen – erzählen die ganze Geschichte dieser bösen Intrige. Also der heute »unbekannten Gründe« (Bebenburg). Die Gerold-Stiftung sollte, wenn sie Größe hat, diese Materialien als Sonderband herausbringen. Es wäre ein Akt der Wiedergutmachung. Ein Stück nachkriegsdeutscher Zeitungsgeschichte. Und außerdem ein formidabler True-Crime-Krimi.

Nur so viel: Gerolds Dolchstoß-Aktion, für die er sich mit Teilen des Betriebsrats verbündete, geschah ohne Konsultation mit dem Hausanwalt der »Rundschau«. Den hinzuziehen, hatte Karl Anders in den letzten beiden gemeinsamen Gesprächen dringend angeraten. Die Gedächtnisprotokolle dieser beiden Treffen liegen mir vor. Und auch die Äußerung des FR-Anwalts und Hausnotars Joachim Rieke, dass man Frau Rudert nun »erklären muss, dass sie Herrn Anders bis zum Lebensende eine Pension mitbezahlt«.
Der Prozess endete in zweiter Instanz mit einer krachenden Niederlage für das Druck- und Verlagshaus. Dessen Angebot waren drei Monatsgehälter gewesen. Der amtliche Vergleich sprach Karl Anders folgendes zu: Zehn Jahresgehälter. Tantiemen. Überschreibung der Dienstvilla. Lebenslängliche Pension. Kein Wunder, dass Gerold durch die Gänge tobte und schrie: »Dieser Name wird in diesem Haus nie wieder genannt!«
Aber warum, um Gutenbergs und den Prinzipien der Aufklärung willens hat man sich bei der »Frankfurter Rundschau« seit 1960 bis heute dran gehalten? Wie funktioniert Wegschauen und Vergessen in einem Zeitungshaus? Wenn Journalisten sagen, »Wir haben es nicht gewusst!« klingt das eher wie ein Offenbarungseid, nicht wie eine taugliche Entschuldigung.
Die »Rundschau« hat ihre verborgene Eigengeschichte all die Jahre nie vollständig recherchiert. Da gibt es noch ordentlich Trümmer wegzuräumen. Der auch von ihr unterzeichnete Pressekodex sagt in Ziffer 2: »Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.« Dieser Sorgfaltspflicht kommt die FR bis heute in Sachen Karl Anders nicht genügend nach. Ich habe deshalb beim Deutschen Presserat Beschwerde eingelegt.

Foto: Damals 1955 eine Sensation, die farbige Tiefdruck-Beilage zum jetzt voll funktionierenden Rundschau-Haus. Und heute noch »breaking news«: Der angebliche Allein-Herausgeber Karl Gerold (oben) im trauten Editorial-tête-à-tête mit seinem Partner Karl Anders (unten), der den Laden stemmte und den ganzen Betrieb vorstellte.

Siehe auch www.culturmag.de

 

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