Wo das sehr Private sehr politisch wird

»Unzensiert« – die provokative Rebellion der Annegret Soltau im Städel

Ausstellungsansicht © Städel Museum/Norbert Miguletz

Möchte man das sehen? Diese zusammengesetzten Körper, Gesichter, Gliedmaßen, diese alten Frauenkörper, und auch die jungen, wenn sie so zugerichtet und zusammengenäht, zusammengeflickt sind wie bei Annegret Soltau. Vielleicht möchte man sie nicht sehen, aber dann doch erkunden, wo sich die Würde hinter dieser Oberfläche verbirgt.
Annegret Soltau ist ein treues Abbild ihrer Zeit, der 1968er, offen, frei, experimentell. »Das Private ist politisch« ist nicht nur ihr persönlicher Ideen-Untergrund, sondern ein gesellschaftspolitischer Reflex ihrer ganzen Zeit-Epoche. Wie viele Kunstrichtungen und Künstler*innen haben sich davon genährt wie beispielsweise Alison Knowles, deren Sandwichfotos und Bohnen-Mobiles man unlängst in Wiesbaden bewundern konnte. Mit einem kleinen Unterschied: Alison Knowles schneidet ihrem Mann die Haare und macht daraus eine Performance, Yoko Ono legt sich mit John Lennon ins Bett und macht daraus eine Peace-Performance, Annegret Soltau nimmt schwarzes Nähgarn und umhüllt damit das Gesicht ihres Mannes Baldur. Faden für Faden, und zwar ganz, bis das Antlitz nicht mehr zu erkennen ist. Auch eine Body-Art-Performance. Der Unterschied: »Körper-ZEICHNUNG« aus dem Jahr 1976 vermittelt Schmerz, Abdrücke, Einengung, kein Augenzwinkern. Es ist ihr ernst, tiefernst. Kaum jemand würde etwas gegen Cindy Sherman einwenden, die sich chamäleonhaft in immer neue Rollen einfindet, die nun auch nicht immer lustig sind, ganz im Gegenteil, aber sie sind nicht verletzt.
Verletzt sind die fotografischen Selbst-Porträts von Annegret Soltau. Auf der Oberfläche ist sie schön und gänzlich unkokett, doch ihre Augenlider und Lippen hat sie auf den Fotos mit schwarzem Garn markiert. Weh tut das Gespinst aus schwarzen Fäden, das ein Paar verbindet, er vorne und schreiend, sie hinten mit überlegen zurückgeworfenem Kopf und stummer Miene, die an diesem Kokon-Gespinst zupft. Es ist haargenau beobachtet und erfühlt, das psychologische Moment in eine drastische Kunstsprache überführt, dieses Private, das zum Politischen wird. Weh tun auch die wilden Collagen aus Körperteilen und Gesichtern, die mit Ausschnitten von Tierporträts kombiniert und ja – zusammengenäht werden, collagierte Mischwesen, die in den 1990–2000er Jahren entstanden.
Annegret Soltau hat trotz Zensur, trotz Anfeindungen ihren sanften düsteren Weg der provokativen Rebellion gegen das traditionelle Frauenbild nie verlassen. Sie hat sich – als Konsequenz – auch nie gut verkauft. Das Städel selbst, das ihr jetzt eine erste umfassende Retrospektive widmet, hat selbst auch nur eine ihrer Arbeiten, will aber jetzt mehr ankaufen.
Und das ist sehr richtig so. Mit jedem Schritt durch den Parcours wächst einem diese mutige Frau immer mehr ans Herz, die, aus bäuerlichem und wenig kunstaffinem Milieu stammend, Tochter einer alleinerziehenden Mutter, sich mit energischem Durchsetzungswillen zum Kunststudium selbst durchgebracht hat. Alle möglichen Jobs hat sie angenommen, um das kostspielige Studium zu finanzieren, hat unter anderem auch als Krankenschwester gearbeitet. Vielleicht ist es keine schlechte Idee gewesen, die Ausstellungsräume in ein kühl-steriles Hellgrau und pastelliges Apricot zu tauchen, das wirkt irgendwie – klinisch.
Und natürlich, die Nähte. Es ging ihr dabei nie um ein hausfrauliches Sticken, das sie selbst gar nicht mochte, sondern um eine Wundversorgung. Aus ihrer Perspektive betrachtet suggerieren die Nähte nicht die Verletzungen, die zugefügt wurden, sondern die Gesundung. Man sieht beides gleichzeitig. Auch Risse gehen durch Gesichter, beispielsweise durch das von Ingeborg Bachmann in ihrer Radierung »Spaltung« von 1975, das zwei Jahre nach Bachmanns Tod entstand.
Ihr ausdauernder Mut hat sie auch dazu bewogen, Mutterschaft abzubilden, die sie nie infrage stellt – sie ist Mutter einer Tochter und eines Sohnes – aber deren Ambivalenz sie künstlerisch zu fassen versucht. »Symbiose« von 1981 ist eine ruhige Schwarz- Weiß- Aufnahme mit ihrer Tochter, wie sie sie liegend stillt, und dann das Negativ in einer fortschreitenden Serie so weit bearbeitet, dass zum Schluss nur noch eine dunkle Masse zu sehen ist, Symbol dafür, wie einen die Mutterschaft auch verschlingen, ja auslöschen kann. Dieses Thema variiert sie mehrfach. Nein, daran ist nichts niedlich. Und so kombiniert sie ihre Arbeiten auch mit dem sehr provokativen »Mutter GLÜCK Kinder HASS«, wobei der schöpferische Akt der Schwangerschaft für sie auch Kunst ist.
Die Konfrontation der Künstlerin mit Frauen-(ab)bildern schöpft aus sich selbst heraus immer neue Fragestellungen, Perspektiven, in denen man sich spiegeln, hinterfragen kann. Ja, man will diese Bilder vielleicht nicht sehen, aber genau aus diesem Grund sollte man ganz genau hinschauen.

Susanne Asal
Foto: MutterTochterVaterSohn, 2005
Galerie Anita Beckers, Frankfurt am Main
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Foto: Fotodesign Hefele Darmstadt
Bis 17. August: Di., Mi., Fr., Sa., So., 10–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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