Tanzmainz löst das Rätsel der »Sphinx« im Staatstheater Mainz

Alles scheint ganz alltäglich zu beginnen: Rafaële Giovanola lässt die 14 Tänzer*innen von tanzmainz gehen. Von einer Seite der Bühne im Kleinen Haus des Staatstheaters auf die andere. In beiden Richtungen und auf den Streifen, die das Lichtdesign von Wil Frikken auf den Boden zeichnet. Dabei bilden sich individuelle Charakteristiken heraus. Die Künstler staksen, wippen oder stolzieren. Sie verschieben die Hüfte, knicken in den Beinen ein oder fassen hüpfend mit den Händen abwechselnd nach unten. Skurrile, verschränkte Bewegungen sind zu sehen und werden in perfekter Präzision wiederholt. Bilder entstehen, in denen die Menschen zu Tieren werden. In denen sie sich wie zufällig miteinander verschlingen und wieder auseinanderdriften.
Wie gebannt schaut man hin auf diese verfremdeten Körper, ist eine knappe Stunde lang davon gefangen, wozu diese, bis an die Grenzen gebogen, bei voller Konzentration in der Lage sind. Die in den USA geborene Choreografin Giovanola liebt dieses Experimentieren mit den Extremen. In dem bestens ausgebildeten Ensemble aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hat sie hervorragende Probanden dafür gefunden. Gemeinsam sind die Schweizerin und die Tänzer*innen auf eine spannende Forschungsreise gegangen, um das, was jeder meint, gut zu kennen, den menschlichen Körper, aus neuen Perspektiven zu betrachten.
»Sphynx« wurde das Ergebnis genannt. In Anspielung auf das Rätsel, das das mythologische Wesen Ödipus stellt und das als Lösung den Menschen in seinem Lebenslauf beinhaltet: am Morgen auf vier, am Mittag auf zwei, am Abend auf drei Beinen. Ausgangspunkt für die eigene Variation einer Evolutionsgeschichte war die gängige Fortbewegung des Zweibeiners.
Die gewählten Kostüme von Mathilde Grebot, leichte Hemdchen, eng anliegende, schimmernde Leggings, die irgendwann knappen Höschen weichen, lassen den Blick auf die vom zeitgenössischen Tanz forcierte Vielfalt der Körperformen zu: vom vor Kraft strotzenden Muskelmann bis zur grazilen Elfe reicht die Palette. Es gibt Momente an diesem kurzen, energetisch anschwellenden Abend, in denen die Einzelnen sich zu einer Masse vereinigen, die Köpfe fast bis zur Unsichtbarkeit zurückgeworfen, die Becken vorgeschoben. Obwohl alle den Rhythmus der elektronischen Musik einhalten, die Tiago Cerqueira extra als pulsierenden Antrieb komponierte, stellt sich statt vollkommener Synchronität eher der Eindruck einer Herde ein, in der sämtliche Wesen sich ähnlich bewegen, aber keines dem anderen gleicht.
Giovanola, die 2000 zusammen mit ihrem auch diesmal mitverantwortlichen Dramaturgen Rainald Endraß die in Bonn ansässige Company »CocoonDance« gründete, war früher Mitglied im Ballett Frankfurt und ist, mit oder ohne ihre Truppe, noch immer häufiger Gast im Rhein-Main-Gebiet. Erst im Dezember war ihr »Body Shots« am Darmstädter Staatstheater zu sehen. Auch mit den fremden Tänzern beeindruckt ihre originelle Entwicklungs-Arbeit. Eine Kooperation mit dem Ensemble Modern ist in Vorbereitung. Nicht nur das begeisterte Premierenpublikum in Mainz wird sich wünschen, dass da in Zukunft noch mehr geht.

Katja Sturm (Foto: © Andreas Etter)

Termine: 5., 11. März, 19.30 Uhr; 6., 20. März, 18 Uhr; 14. März, 21.30 Uhr
www.staatstheater-mainz.com

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