Das Museum Sinclair-Haus steuert die Zukunft mit »Wandelmut« an

So aktuell, wie es der Titel »Wandelmut« in diesen Tagen nahelegt, wollten sie gewiss nicht sein im Bad Homburger Museum Sinclair-Haus. Der Krieg in der Ukraine hat die gesamte Wahrnehmung der Welt binnen weniger Tage spürbar verändert, wenn nicht auf den Kopf gestellt. Und natürlich auch die Ausstellungsmacher überrascht. Gleichwohl gewinnt ihr Ziel, kreative Wege zur Lösung der ökologischen und gesellschaftlichen Krisen zu finden, unter den sich wandelnden Vorzeichen sogar an Relevanz und Eindringlichkeit. Eine Veranstaltung, die sich das Zitat des US-amerikanischen Therapeuten Steve de Shazer »Über Probleme reden, schafft Probleme, über Lösungen reden schafft Lösungen« zum Leitmotiv macht, kann gar nicht anders.
Buchstäblichen Wandelmut beweist das Museum Sinclair-Haus indes zunächst einmal selbst, verlässt es mit seinem Konzept doch die vertraute Bahn herkömmlicher Ausstellungspraxis. Die Veranstaltung »Wandelmut« ist denn auch eher ein Projekt als eine Schau, wiewohl es im Obergeschoss des zweistöckigen Gebäudes noch recht klassisch zugeht. Erst das Parterre macht den Unterschied: Hier wird unter dreimaligem Programmwechsel im Projektzeitraum (bis Sept.) ganz wesentlich über Machbares und Zu-Machendes kommuniziert. Etwa in einem Klimawandelparlament. Dazu aber später.
Also erstmal rauf in den ersten Stock, der unter vornehmlich ökologischen Fragestellungen vier zeitgenössische künstlerische Positionen zum Thema Wandel und Transformation vorstellt. So widmet sich eine Arbeit der in Berlin lebenden Künstlerin Antje Majewski dem, was man in Städten gemeinhin als einen Schandfleck bezeichnet. Ein ohne jedes äußerliche Zutun sich aus einer Brache zu einem »locus amoenus« (lieblichen Ort) wandelndes autonomes Ökosystem, das sie nach einem gescheiterten Bauprojekt im Berliner Wedding über viele Monate belauscht und beobachtet hat und hier mit Fotografien, Zeichnungen, Skulpturen und einem Video dokumentiert. Der in Lissabon lebende österreichische Fotograf Herwig Turk hofiert in seinem Beitrag »Anamnese einer Landschaft« den als König der Alpenflüsse geltenden Wildwasserfluss Tagliamento im Friaul, dessen Flussbett sich durch mäandernde Kies- und Sandbänke ständig verändert. Eine einmalige Landschaft mit einer überdurchschnittlichen Diversität an Pflanzen und Tieren, der allerdings auch Positionen der hier lebenden Menschen entgegengestellt werden, die weniger die Idylle als das Problem von Überschwemmungen kümmert.
Schon auf der Biennale in Venedig war das Architekturbüro Studio Ossidiana mit seiner »Stadt der Vögel« präsent, die aus teils traumhaft schönen Modellen von bedarfsgerechten Vogelbehausungen, aber auch historischen Modellen besteht. Eine »Kulturgeschichte der Mensch-Vogel-Beziehung«, so Sinclair-Chefin Kathrin Meyer.
In der abschließenden »Lounge des Wandels« gehen Kurator Lukas Feireiss und der Architekt Leopold Banchini den Ideen des US-Amerikaners Lloyd Kahn nach, ein Pionier der amerikanischen Gegenkultur der Sechziger und des nachhaltigen Bauens.
Das Erdgeschoss hingegen ist als »Wandelsalon« deklariert, in dem – ganz in der vermuteten aufklärerischen Tradition des geschichtsträchtigen Wohnhauses – an ausgewählten Terminen zu Begegnungen und Gesprächen mit Künstlern und Experten von drei einander ablösenden Gruppen eingeladen wird. Der selbstgewählte Anspruch: Globale Themen auf der Ebene des Alltags verhandeln – in der eigenen Stadt, im eigenen Leben. Den Auftakt machen die sich im Schulterschluss präsentierenden Initiativen »metagarten« (Hamburg) und »helfersyndrom« (Offenbach) mit ihrem Projekt »Klimaparlament Rhein-Main« (bis 8. Mai), das sich als eine »Ständige Vertretung sämtlicher Wesen und Unwesen« der Region begreift. Und das heißt, nicht nur der Mensch – der am allerwenigsten –, sondern auch Tiere, Pflanzen, Gewässer, Landschaften, aber auch Radwege, der Öffentliche Nahverkehr, selbst das Auto in der Region (und jetzt wohl jetzt auch die militärische Sicherheit), sollen hier zu Wort kommen, so sie Fürsprecher und Fürsprecherinnen unter den Besuchern finden. Die Übernahme solcher Patenschaften impliziert auch das Verfassen eines Apells für das gewählte Wesen oder Unwesen. Wie man mitmachen kann, weiß die Homepage, siehe unten.
Einer Idee des französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour (»Das Parlament der Dinge«) folgend haben »metagarten & helfersyndrom« bereits 1990 im Hamburger Kampnagel ein Klimaparlament veranstaltet und in konkrete Forderungen an die Hamburger Politik umgesetzt. Ähnliches soll zum Abschluss im September in Frankfurt geschehen, wahrscheinlich im Senckenberg Naturmuseum – und leider nicht in der Paulskirche. Vom 11. Mai bis 19. Juni geht es im Wandelsalon um das Gärtnern und im Anschluss (22. Juni bis 31. Juli) entwickelt das soziokulturelle Forschungsprojekt »UND« der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG) konkrete Projekte für Bad Homburg und die Region. Darüber aber zu gegebener Zeit.

© Studio Ossidiana/Variations on a Birdcage 2021

Bis 31. Juli 2022: Di., 14–20 Uhr; Mi.–Fr., 14–19 Uhr; Sa., So., 10–18 Uhr
www.kunst-und-natur.de

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