Noch ’n offener Brief – zum 09.05.2022
»Genossen, die 68-er Bewegung ist auf die Grundsätze gebracht, von denen sie ausgegangen ist; sie ist beendet«. Diese Paraphrase auf Napoleons Beendigung der Französischen Revolution war das Erste, was mir einfiel, als ich hörte, Herr Habermas wolle nun den »herrschaftsfreien Diskurs« mit Putin aufnehmen.
»Emma« Schwarzer hat das dann noch getoppt mit dem von ihr initiierten Offenen Brief an Olaf Scholz, den zunächst 28 Leute unterschrieben hatten (mittlerweile sind es scheinbar über 250.000) – darunter einige, von denen ich bisher was gehalten habe – wie Andreas Dresen und Alexander Kluge.
Alexander Kluge, der mich in seinen Seminaren damals zu Bewegter Zeit häufig als »Frontschwein« bezeichnet hat – ich hielt das, wohl irrtümlich, für ein, wenn auch ungelenkes, Kompliment – unterschreibt ein derartig feiges, verlogenes, hochnäsiges und arschkriecherisches Papier: Mensch Kluge, wie konntest du deinen Namen nur unter diesen Mist setzen?
In diesem Papier wird Olaf Scholz für seine zögerliche Behandlung der Waffenlieferungen an die Ukraine auch noch gelobt – und anschließend die ukrainische Bevölkerung »im Namen der Gebote der politischen Ethik« zur Kapitulation aufgefordert.
Die Ukrainer sollen sich von den Russen massakrieren lassen, um einen 3. Weltkrieg zu verhindern und unser aller Ärsche zu verschonen.
Und das, obwohl »die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts« (Gewaltverzicht) anerkannt wird – wir also de facto bereits im Krieg sind.
Ist diese Sorte von Ethik nicht ein Freifahrschein für jeden Terroristen von Putin bis Kim Jong Un? Ist damit nicht endgültig sichergestellt, daß der einzige Bereich, in dem die halbwegs Guten gewinnen können, die Superheldenabteilung im Marvel-Universum ist? Glaubt wirklich jemand, daß sich die Welt das gefallen läßt? Amis, Engländer und Franzosen ganz sicher nicht.
Die Offenen Unterzeichner warnen vor dem »Irrtum«, daß Putin allein dafür verantwortlich sei, wenn er eine Atombombe abfeure – nein, auch die Ukraine und ihre Waffenlieferanten tragen Schuld, wenn sie Putin durch zu heftige Gegenwehr zum Abfeuern bringen.
Die Offenen warnen insbesondere vor dem zweiten »Irrtum«, wonach die ukrainische Regierung keine Schuld auf sich lade, wenn sie in »aussichtsloser Situation« weiterkämpfe. Das ist der Jargon von Bullen: »Sie sind umstellt, Widerstand ist zwecklos« und von Geiselgangstern: »Wir erschießen jede Minute eine Geisel, wenn Sie unsere gerechten Forderungen nicht erfüllen – und dafür tragen Sie dann die Verantwortung«. Tragen wir nicht: weder vor Gott noch dem Gesetz.
Aussichtslos sei die Lage der Ukraine in jedem Fall – so der Mit-Offene Reinhard Merkel, emeritierter Verfassungsrechtler, im Interview mit Andreas Kilb – und weist sich damit als Militärfachmann aus.
Ein beruflich als Militär tätiger General, Ben Hodges, der an der Ausbildung der Ukrainer beteiligt war, sieht das nicht so. Er ist felsenfest davon überzeugt, daß die Ukraine eine Chance in diesem Krieg hat – und der bisherige Verlauf spricht nicht dagegen. Auch von den Geländegewinnen der Russen, die Herr Merkel behauptet, kann nicht die Rede sein – eher von Geländevernichtung.
Hat sich die russische Armee bisher nicht als ebenso brutal wie inkompetent gezeigt – und war bestenfalls beim Plündern erfolgreich? Wieso also sollte man Herrn Merkel folgen?
Steckt in der Argumentation der Offenen nicht die gleiche widerwärtige Gedankenkonstruktion, die der vergewaltigten Frau eine Mitschuld an ihrer Vergewaltigung zuschreibt: sie habe doch diese aufreizende Kleidung nicht tragen – und sich nicht wehren – müssen? Hat Putin nicht vorab seinen Überfall bereits als Vergewaltigung angekündigt: »Ukraine, du Schöne, du wirst dich fügen müssen« – hat er das nicht wörtlich vor laufender Kamera gesagt?
Im Vortrag der Offenen spielt überhaupt keine Rolle, daß bei einer Kapitulation die ukrainische Bevölkerung – aller bisherigen Erfahrung mit Russland zufolge – ganz sicher nicht verschont bliebe – sondern daß große Teile vergewaltigt, verschleppt, umgesiedelt oder umgebracht würden.
Gibt es da eine Kosten-Nutzen-Rechnung? Wenn wir kämpfen, sterben 500.000, wenn wir kapitulieren nur 250.000 – dafür werden 4 Millionen verschleppt, vertrieben oder eingekerkert?
In welche Währung wird das umgerechnet, damit es Entscheidungsgrundlage werden kann?
Wer beschließt dann darüber, wer weiterleben darf – oder wird das in einem Gentlemen’s Agreement zwischen Putin und Selenski ausgehandelt – etwa nach dem Vorbild »Die Bürger von Calais«?
Und wenn es kein Agreement gibt – zB weil Putin kein Gentleman ist, wer erzwingt dann das Recht der Ukrainer auf Leben und körperliche Unversehrtheit – auf ihre im Budapester Memorandum von 1994 garantierte territoriale und politische Autonomie? Garantiegeber damals waren Russland, USA und Großbritannien. Was von russischen Garantien zu halten ist – sehen wir das nicht gerade?
Wer überwacht Friedensverträge etc – und erzwingt ggfs. deren Einhaltung – und mit welchen Mitteln? Durch Beten oder Ballermänner? Wie wird verhindert, daß Putin nach der Vernichtung der Ukraine nicht einfach im Baltikum oder sonstwo weitermacht? Wann werden wir einsehen, daß es sinnlos ist, mit jemandem über Verträge zu verhandeln, der auf Verträge pfeift?
Bleibt einem manchmal einfach nichts anderes übrig, als drauf zu hauen? Und ist es dann nicht sinnvoll, schnell, hart und gemein zu sein, wie Sun Tzu und von Clausewitz argumentieren?
Ist nicht auch im Krieg Angriff die beste Verteidigung?
Gebietet nicht gerade die »politische Ethik« robuster gegen den Aggressor Russland vozugehen? Ist es nicht sogar unsere Pflicht, das Feuer auszutreten, bevor es zum Flächenbrand wird? Gegen NATO UND Sanktionen wäre Russland da nicht chancenlos?
(Zumal Atomwaffen nur zur Nötigung taugen und zum Töten von Zivilisten – im Gefecht hingegen völlig unbrauchbar sind? Worüber seit Robert Oppenheimer bis zur Bundeswehrhochschule von heute offenbar Einigkeit besteht.)
Läuft im Gegensatz dazu nicht alles, was die Offenen postulieren, auf »unterlassene Hilfeleistung« hinaus? Ich Idiot dachte immer, das sei ein Verbrechen. »Übertriebene« Hilfe ist es offenbar auch.
Ausgerechnet die Generation, die ihr Leben lang ihre Eltern und Großeltern der Feigheit vor den Nazis und der unterlassenen Hilfeleistung gegenüber den Juden bezichtigte, erweist sich bei der ersten echten Herausforderung als feiger als ihre Vorfahren und beschönigt das auch noch mit frischgebackenen Worthülsen wie »politische Ethik«.
Sollten diese Ethiker nicht endlich ihre Lebenslügen ad acta legen und zur Kenntnis nehmen, daß die Amis nie unsere Feinde und die Russen nie unsere Freunde waren? Daß die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts nicht der Untergang der Sowjetunion war, sondern ihre Gründung (courtesy Deutsches Reich)? Daß die Sowjetunion die gigantischste Menschenvernichtungsmaschine war, die es je gegeben hat – und daß wir sie auch in der Putinschen Zombieform nicht länger gewähren lassen dürfen? Daß es nicht um Putin allein geht, sondern um eine mafia-artige Verbrecherbande, die Russland beherrscht und bluten läßt – ohne Rücksicht auf Verluste – und sei es mit staatlich befohlenem Mord, Totschlag, politischer Verfolgung, Einschüchterung und psychischer Vernichtung?
Müssen wir nicht – gerade weil Putin mit Atombomben droht – standhaft bleiben? Gilt Hemingways Satz nicht mehr: »courage is grace under fire«? Leute: braucht ihr vielleicht eine Leseliste, die das untermauert?
»Macht kommt aus den Gewehrläufen« hat Mao gewußt. Es war so ziemlich das Einzige, wovon er Ahnung hatte. Genau genommen ist es aber Munition, die aus den Läufen kommt. Deswegen schicken wir nun nach langem Hin und Her einige Gepard-Panzer mit zusammen 23.000 Schuß Munition in die Ukraine. Die reichen im Gefecht knapp 23 Minuten. Wir schicken die natürlich nur, nachdem wir uns vorher bei den Schweizern versichert haben, daß die keine zusätzlichen 50 Minuten Schuß an die Ukraine liefern werden. Das sind Mückenstiche, richtige Munition muß daher aus Brasilien besorgt werden – und kommt, so scheinen die Offenen zu hoffen, erst nach dem Krieg an, wenn sie ab 6 mit Schwejk in der Kneipe sitzen.
»Lernprozesse mit tödlichem Ausgang« – so hieß Alexander Kluges Meisterwerk aus den 1970ern. Ich les‘ das jetzt noch mal. Vielleicht habe ich mich ja schon damals getäuscht. Dann schmeiß‘ ich es weg und nehme Abschied von Gestern, Abschied von Kluge und von 68. Unsere Musik war klasse, ein paar unserer Filme auch, das bleibt. Alles andere war letzten Endes nur ein Nichts in einem Meer von blubberndem, teils blutigem Schaum, und für die »creme de jour«, das gefällige Geplapper des Tages, halten sich Herr Habermas in Konkurrenz mit »Emma« Schwarzer auch heute noch für zuständig. Zwar bedauerlich, aber man könnte ja mit Karl Valentin sagen: es lohnt sich nicht mal die zu ignorieren. Wenn sich hinter diesem anschwellenden Ethikgesülze nicht ein schmutziger Deal zu Lasten der Ukraine ankündigen würde.
Kurt Otterbacher