Ottilie von Roederstein – eine Werkschau im Städel

Gut gekannt haben müssten sie sich, Clara Zetkin (1857–1933) und Ottilie von Roederstein (1859–1937), wenn auch nicht persönlich, so doch auf alle Fälle im Geiste. Beinahe zeitgleich verläuft ihre Lebensgeschichte, sie sind Schwestern in einem politischen Aufbruch, sie sind beide Aufrührerinnen, doch beide positionieren sich zur ideellen Ausformung des weiblichen Widerstands innerhalb der Gesellschaft nahezu konträr. Für Zetkin war die Frauenfrage im marxistischen Sinn ein »Nebenwiderspruch«, ein Kollateralschaden sozusagen des Kapitalismus, für Roederstein eine Frage des Lebensentwurfs: sie lebte ihre Emanzipation ganz einfach. Und um sie leben zu können, brauchte sie das Geld – der Kapitalisten.
Es ist berührend, dass das Städel jetzt erneut einer Künstlerin den gebührenden Raum gibt, der ihr lange Zeit verwehrt geblieben war. Nach 1937, ihrer letzten großen Einzelausstellung im Frankfurter Kunstverein, geriet Ottilie von Roederstein in Vergessenheit. Und so ist eine Wiederentdeckung zu feiern, auch im Städel selbst, stammen doch 28 der 75 Werke aus seinem Fundus. Sie war dem Museum und der Stadt Frankfurt eng verbunden.
Es ist auch berührend, weil hier ein anderes Thema im Mittelpunkt steht als ihr Beitrag zur Kunstgeschichte, ein Aspekt, der sehr heutig ist und damals revolutionär war: der des Geldverdienens, der Möglichkeit für eine Frau, unabhängig von familiären Einbindungen (Ehe, Eltern, …) vom Malen, von der Kunst leben, sich ein Atelier und Reisen leisten zu können mit ihrer eigenen Hände Arbeit.
Gleich das erste Werk, welches in die exquisit angelegte Ausstellung einführt, setzt in dieser Hinsicht ein Fanal: es ist das wundervolle, Blick heischende, fast lebensgroße Porträt »Miss Mosher oder Sommerneige«, einer bekannten Pianistin, die sie mit lächelndem, abgewandtem Gesicht, Alabasterhaut und schwarzen tief dekolletierten Samtkleid gemalt hat. Dieses Gemälde wurde auf der Pariser Weltausstellung 1899 gezeigt und gewann ihr eine Silbermedaille. Es zeigt gleich auf, womit sich Roederstein ihren Lebensunterhalt verdienen wird: mit Porträts.
Das Thema ist also gesetzt. Die Ausstellung beginnt fast spielerisch mit einer perspektivischen Dopplung: Auf einer Fototapete ist zu sehen, wie sie dieses berühmte Bild malt, auf einer weiteren sie selbst im Kostüm der Jeanne d’Arc und wie diese Fotoaufnahme den Hintergrund eines gemalten Porträts bildet, das ihre Freundin Madeleine Smith vor der Staffelei zeigt – lauter augenzwinkernde Spiegelungen. Zwei Brust-Porträts links und rechts des Durchgangs zum zweiten Saal zeigen ihre Schwester, mal elegisch blickend, mal forsch.
Nachdem sie auf diese Art und Weise künstlerisch vorgestellt worden ist, beginnt der Parcours von ihrer Biografie zu erzählen – und dies gleich sehr ausführlich anhand von zahlreichen Fotografien. Sie zeigen sie mit ihrer Lebensgefährtin, der berühmten Gynäkologin Elisabeth Winterhalter beim Bergbesteigen und auf Reisen durch Nordafrika und in den vorderen Orient, aber nicht im Express, sondern auf Eseln und Kamelen. Diese unerschrockene Lady nahm sich vom Leben, was es hergab, und sicher nicht die Butter vom Brot, was sich in den ausführlich ausgebreiteten Selbstporträts zeigt. Scharf sieht sie uns an, und genauso scharf knapp an uns vorbei, mit einem leisen ironischen Lächeln um den Mund. Niedlich-Sein war ihre Sache nicht, und auch die von ihr gemalten Frauen – und das sind viele, sie war die bestens mit Aufträgen beschäftigte Porträtmalerin – haben nichts Süßes, Weiches, sondern etwas sehr Ernstzunehmendes.
Das Städel und Frankfurt wurden bald zum Lebensmittelpunkt der in Zürich geborenen Künstlerin und ihrer Lebensgefährtin, nachdem sie in Paris von 1882 bis 1887 an mehreren Kunstakademien studiert hatte. Aktzeichnen war Frauen damals verboten, Ottilie tat es trotzdem und zeigt ihre ganze Könnerschaft auf diesem Gebiet in ihrer innigen Pietà. Sie ist, das zeigt die Ausstellung deutlich, keiner Schule mit fester Kontur zuzurechnen, sondern experimentierte mit Farben, Farbaufträgen und Stilrichtungen, fächerte ihr Wissen auf, kannte sich bei den Alten Meistern aus und schuf wunderschöne Bilder im Stil der Renaissance: Porträts mit Landschaften im Hintergrund. Auch die Japan-Mode setzt sie in ihren Porträts aus dem Jahr 1917 um, Clärchen Pfeiffer malt sie im flächigen Stil der Neuen Sachlichkeit, und ihr Bild von Jacob Nussbaum sieht ein bisschen so aus wie vom spanischen Meister des Lichts, Joaquín Sorolla inspiriert. Zu ihm, zu seiner Art, durch Licht und Schatten Farben buchstäblich zu bewegen, sieht man vielleicht die meisten Bezüge in ihren Porträts.
Es sind also nicht nur ihre Bilder zu entdecken, sondern auch ihr Lebensentwurf. Nicht zu vergessen ihr Kampf für die Bildung von Mädchen und für die Gleichberechtigung. Ihr letztes Selbstporträt als 76-Jährige zeigt sie aufrecht mit einem Schlüssel in der Hand – er gehörte zu ihrem Atelier.

Susanne Asal
Foto: Ottilie W. Roederstein im Atelier
der Städelschen Kunstschule, um 1894
© Roederstein-Jughenn-Archiv
im Städel Museum

Bis zum 16. Oktober: Di., Mi., Fr., Sa., So., 10–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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