Die Winterzeit ist die Zeit der Geschichten. Vielleicht, weil das in unseren Genen feststeckt, epigenetisch vererbt – man knabbert den ganzen Tag an süßem Gebäck (weil das so gemütlich ist), während man auf die Rückkehr der freundlichen Saison wartet und hört sich die komischsten Geschichten, x-mal gespielten Lieder und grimmigsten Märchen an. Das braucht es einfach, um sich im Dezember wohl zu fühlen! Damit die Kinder genau diesen Gefühlscocktail auch ihren Kindern werden vermitteln können, müssen wir sie schon heute ins Theater oder in die Oper schleppen, den neuzeitlichen Höhlen, wo diese Geschichten und Lieder zum Besten gegeben werden!
Dabei empfehlen sich in erster Linie Geschichten und Stücke, die überhaupt gar nichts mit Weihnachten zu tun haben, einfach, um der Überdosis Weihnachten zu entkommen – ganz und gar subjektiv und dem Geschmack der Autorin nach ausgewählt.
Erste Wahl sind »Die Abenteuer des Tom Sawyer« im Staatstheater Darmstadt. Tom Sawyer, das ist der Inbegriff jedes Lausbuben und amerikanische Literaturgeschichte, gehört zur kulturellen Bildung kategorisch dazu! Mark Twains berühmte Geschichte eignet sich für Jung und Alt, es geht ganz grundsätzlich darum, sich spielerisch, kreativ und zu Teilen skrupellos den Aufgaben des Lebens zu stellen. Ein Stück also, was Vorbildqualitäten birgt und Rebellion fördert – für Kinder ab 5 Jahren. (1.–5.,8.–11.,16.–19., 21.–23., 25., 26.12.)
»Das Lexikon für alles Mögliche« wird in Mainz inszeniert: ein Lexikon soll auf der Bühne entstehen und die Begriffe und ihre Definitionen müssen gefunden werden. Das hat aber seine Tücken, denn »Woher wissen wir eigentlich, dass es keine Einhörner gibt? Wir müssten ja überall gleichzeitig nachsehen, sonst könnte das Einhorn immer genau da sein, wo gerade niemand schaut.«
Der vielfach ausgezeichnete Autor Milan Gather lädt auf spielerische Weise Kinder ab 7 Jahren zum Philosophieren ein: Wie nehme ich die Welt wahr? Was ist Fantasie und was ist Wirklichkeit? Und wer darf eigentlich bestimmen, was alles möglich ist?
(30.12.)
Weiter sehr geeignete unweihnachtliche, aber nicht unklassische Geschichten sind die von Michael Ende, angefangen mit dem »satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch« am Staatstheater Wiesbaden, besprochen auf Seite 18 in diesem Heft, in Endes »Die unendliche Geschichte«, von John von Düffel für die Bühne in Mainz bearbeitet, verknoten sich die Wirklich der gewohnten Welt mit der Wirklichkeit der Phantasie ineinander. In der Folge muss der Junge Bastian Balthasar Bux seine höchstpersönliche Heldenreise erleben, indem er sich in der Welt der Phantasie einfangen lässt, krudeste Leute trifft und Abenteuer bestehen muss. Und es dann allein, weil er in der Persönlichkeitsentwicklung einen Sprung macht, zurück nach Hause schafft. Klingt zu pädagogisch? Ist es ja auch, aber nur im Subtext! Die Unendliche Geschichte ist spannend, interessant, phantasievoll, kurzweilig – das Bühnenstück ein idealer Anlass, sich damit zu befassen und vielleicht später das Buch zu lesen! (10./15./17./18./19./26./29.12.)
Und dann, als drittes Werk von Ende, natürlich, »Momo«, diese seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, genauer dem Mädchen, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Momo läuft im Schauspiel Frankfurt, und zurzeit auch im Kino. Möglicherweise ist das Theaterstück dem Kino aus pädagogischem Impetus heraus vorzuziehen, weil es die Phantasie und eigene Vorstellungskraft mehr anregt? Aber man kann ja auch beides ansehen und geht erst mit den Kindern ins Schauspiel und dann noch in den Film – zum Vergleich der Genres! Läuft am 1./2./6./9./10./11./15./16./21./26./29.12.
Damit auch etwas leichtfüßiges, lustiges in unserer Auswahl dabei ist, sei auf »Kannawoniwasein! Manchmal muss man einfach verduften« hingewiesen, eine abenteuerlustige Ausreißergeschichte, ganz im Hier und Heute: Finn und Jola werden zufällig Freunde, weil sich die Polizei keineswegs als Freund und Helfer erweist. Die beiden Kids müssen daher selber nach dem Dieb von Finns Rucksack fahnden und benötigen auf dem Weg zur finalen Gerechtigkeit die Unterstützung der Rockerszene. Ausgewiesen ab 10 Jahren, 8-Jährige hätten sicher auch bereits Spaß, das Kind in Mutter, Vater, Oma, Opa garantiert auch. Das Stück ist am 16.12. im Staatstheater Mainz zu sehen.
Musikalisch und für ganz Kleine ist der »Nussknacker« in Form einer Konzertaufführung für Kinder ab 4 Jahren im Staatstheater Mainz gespielt am 20. und 21. Dezember. Christian Andersens Märchen »Die Schneekönigin«, ebenfalls in Mainz, wird als Roadmovie aufgeführt. Da ist mords was los auf der Bühne: Musiktheater für Kinder ab 9 Jahren und deren Familien. (14./15./28.12.)
Eine musikalische Aufführung von »Aladin und die Wunderlampe« ist im Papageno Musiktheater im Palmengarten in Frankfurt das Kinderstück des Winters. Aladin, der nette, besonnene Junge, der dem bösen Zauberer den Geist in der Lampe liefern soll, damit der seine übelsten Wünsche der Macht befriedigen kann – das triggert den Gerechtigkeitssinn nicht nur in den Kindern: Man mag diese Geschichte zugegeben immer wieder – weil? Ja weil das Gute gegen das Böse gewinnen soll, was bis zum Ende unsicher bleibt! Überwiegend wird singend erzählt, gilt für Kinder ab 5, geht ca. 1,5 Stunden mit einer Pause an folgenden Tagen: 5./6./12./13./14./20./29./30./31.12.
Weil Märchen bekanntermaßen ganz und gar weihnachtlich konotiert sind, passen sie nicht in unsere unweihnachtliche Auswahl! Daher verschweigen wir an dieser Stelle, dass am 1.12. der Originalfilm »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« in der Alten Oper läuft und mit Orchester begleitet wird. Auch sei Aschenputtel, »La Cenerentola«, die italienische Oper von Rossini im Staatstheater Darmstadt unterschlagen (5./25.12.).
Und am allerwenigsten sprechen wir hier über Engelbert Humperdincks »Hänsel und Gretel« (außer auf nachfolgender Seite 22) – Sie wissen schon, dieses Stück mit der hässlichen Alten, die die Weihnachtsplätzchen an der Fassade ihrer bescheidenen Hütte kleben hat, um die armen Kinder mit dem Zuckerzeug zu terrorisieren. Es ist mit Sicherheit so, dass genau und nur wegen dieses immer wieder erzählten Märchens alle Leute bereits ab September dreimal täglich Spekulatius verzehren. Jedenfalls sind sich weder das Staatstheater Darmstadt (6./11./18./19./21./23./
26.12.), noch die Oper Frankfurt (2./10./11./13./14./16./17./18./ 20./21.12.), noch das Staatstheater Mainz (13./22./26./30.12) dafür zu schade, auch dieses Jahr wieder Plätzchenwerbung zu betreiben.
Ja, zugegeben: Die Autorin mag Weihnachten nicht!
Aber das ist ja für Sie kein Grund nicht im Dezember dennoch ins Theater und die Oper zu gehen. Und ins Kino – viel Spaß und Frohes Fest!
