Aus dem Leben eines Finanz-Autisten
»Cosmopolis« von David Cronenberg
Mit seinen Filmen griff David Cronenberg immer wieder aktuelle Trends auf und war damit schon oft am Puls der Zeit. In »Videodrome« thematisierte er die Anfang der 80er Jahre ausgebrochene Debatte über Gewalt in Medien. »eXistenZ«, ein charmantes Kammerspiel über Video-Games und virtuelle Realität, kam zeitgleich mit »Matrix« in die Kinos. Und kaum waren die Dreharbeiten seines neuen Films über die New Economy abgeschlossen, da begannen am New Yorker Drehort die Occupy Wall Street Demonstrationen.
Trotz dieser Aktualität ist »Cosmopolis« nach dem gleichnamigen, 2003 erschienenen Roman von Don DeLillio ein durchwachsenes Kinovergnügen. Das Buch beschreibt einen Tag im Leben des 28-jährigen Start-up-Milliardärs Eric Parker und ist ähnlich ermüdend wie G.J. Ballards »Crash«, aus dem Cronenberg bekanntlich einen seiner visuell berauschendsten Filme über das abseitige Lustempfinden von Unfall-Junkies machte. Diese Übertragung auf die große Leinwand gelingt ihm in »Cosmopolis« nur in Ansätzen. Der Film spielt die meiste Zeit im Inneren einer luxuriösen, weißen Strechlimo, mit welcher der dekadent-frühreife Finanz-Guru einmal quer durch New York fährt, um sich die Haare schneiden zu lassen. Die Fahrt dauert den ganzen Tag, weil der Verkehr durch einen Präsidentenbesuch und die Beerdigung eines Rappers zum Erliegen kommt. Während die weltweit vernetzten Finanztransaktionen in endlosen Zahlenkolonnen über die Monitore seines mobilen Büros huschen, steht das Auto praktisch still: Ein gelungenes Bild. Wir sehen, wie Eric gebückt in sein High-Tech-Klo uriniert und Sex in allen möglichen Stellungen hat – nur nicht mit seiner Ehefrau. Wie jeden Tag unterzieht der Hypochonder sich einer Rektaluntersuchung. Während der Arzt ihm mit seinem Latexfinger im Anus bohrt, diskutiert er in gepreßt-lüsternem Tonfall mit seiner zugestiegenen Analystin: Gibt es einen Zusammenhang zwischen seiner asymmetrischen Prostata und den Mustern der globalen Finanzmärkte?
Das sind die typischen »Cronenberg-Momente«, in denen man den Übergang zwischen Intellekt und Körper, Schmerz und Lust, Genie und Wahnsinn auf irritierende Art aus den Augen verliert. An den ebenso blassen wie blasierten Teenie-Star Robert Pattinson in der Hauptrolle hat man sich spätestens dann gewöhnt, wenn er von einem durchgeknallten Konzeptkünstler – flatsch – eine Sahnetorte ins Gesicht bekommt. Gelangweilt nimmt Eric durch die Scheiben der Limousine wahr, wie in der traumhaft entrückten Außenwelt irre Globalisierungsgegner in Rattenkostümen demonstrieren und dabei sein Auto mit Unrat und Graffities überziehen: Dank der wie immer guten Musik von Howard Shaw gelingen so einige hypnotische Momente – die den Film aber leider nicht tragen.
Cronenberg begeht den Fehler und überschätzt DeLillios Dialoge, die er nahezu eins zu eins in seinen Film hievt. Das pausenlose Stakkato-Gerede gibt weder Aufschluß über den globalen Turbokapitalismus, noch Einblicke in das vermeintlich intelligente Innenleben eines frühvollendeten Finanz-Autisten. Es fehlt einfach die Substanz. Nach wenigen Minuten ist das nur noch ein vorbeirauschender Wortbrei, monoton wie die gequälten Metaphern eines zweitklassigen Nachwuchsliteraten, der sein Publikum auf einer lokalen Literaturlesung traktiert. Während der gegenwärtigen Eurokrise, in der ganze Staaten vor dem Bankrott stehen, erweisen sich DeLillios Statements, wonach »Geld seine narrativen Qualitäten verloren habe und nur noch Selbstgespräche führe« als verblasener Quatsch: Worthülsen für Feuilleton-Leser, die den Wirtschaftsteil ignorieren. Das braucht man in keinem Buch, und schon gar nicht in einem Film von David Cronenberg, dessen Formkurve nach »Eine dunkle Begierde« zwar leicht ansteigend ist. Die ästhetischen Geschlossenheit von »Dead Ringers« oder »Naked Lunch« erreicht er mit »Cosmopolis« aber noch lange nicht.
Manfred Riepe
COSMOPOLIS
von David Cronenberg, CAN/F 2012, 108 Min.
mit Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric, Jay Baruchel, Kevin Durand
nach Roman, vonDon DeLillo
Drama / Start: 05.07.2012 / Note 3