Offenbarter Unfug
Unter den europäischen Regisseuren ist der Belgier Jaco Van Dormael ein Solitär. Kein anderer erzählt mit so viel Poesie, überwältigt das Publikum mit solch einer Fülle von Einfällen. In seinen Filmen geht es um grundlegende Fragen unserer Existenz, um unsere Identität, um das Leiden und den Tod geliebter Menschen, um die Sterblichkeit überhaupt. Jetzt hat er sich Gott, den Hauptverantwortlichen, vorgenommen – und ihn der Lächerlichkeit preisgegeben.
Nein, Gott ist nicht tot, Gott lebt in Brüssel. Mit Frau und der zehnjährigen Tochter Ea, eingesperrt in einer spießig eingerichteten Wohnung im obersten Stock eines kleinen Hochhauses. Brüssel hat er aus Langeweile erschaffen. Gott ist ein Haustyrann im Bademantel, gewissermaßen ein böser Ditsche, der aus Wut auch einmal zur Axt greift und eine Tür einschlägt wie Jack Nicholson in »Shining«. Und Gott liebt die Menschen nicht, er quält sie lieber. Sein Sohn Jesus habe alles auf den Kopf gestellt, habe aus dem Bauch heraus improvisiert, werden wir später erfahren.
Während seine Frau geduldig die Wutausbrüche ihres Mannes hinnimmt, lehnt sich die kleine Tochter auf. Aus Rache sendet sie den Menschen die Zeit, die sie noch zu leben haben, auf das Smartphone. Schlagartig verändert sich so ihr Leben. Wenn der Tod nahe ist, kann man sich von alltäglichen Zwängen befreien. Hätten Van Dormael und sein Co-Autor Thomas Gunzig doch dieses Thema intensiver behandelt!
Stattdessen erzählen sie von Eas Flucht durch die mit einem magischen Ausgang versehene Waschmaschine und ihrer Suche nach sechs neuen Aposteln in den Straßen von Brüssel. Denn Ea und ihre Mutter favorisieren Baseball, da hat jedes Team 18 Spieler, während für Gott, den Hockey-Fan, die Hockey-Mannschaft das Maß aller Dinge ist. Deshalb hatte Jesus 12 Apostel. Mit der Suche nach den neuen Aposteln – und dem wütenden Vater im Rücken – wird der Film allerdings immer beliebiger und klamaukiger, bis er in einem überzogenen Feminismus gipfelt, von dem man nicht so recht weiß, ob er ernst oder ironisch gemeint ist.
Zu den Qualitäten Van Dormaels gehörte bisher der Weltschmerz, der seine Filme durchzog. Er hat er uns 1996 mit »Am achten Tag« eines der traurigsten Werke der Filmgeschichte geschenkt.
Van Dormael sagt: »Als Kind habe ich mir oft die Frage gestellt, warum Gott nichts unternommen hat, als man seinen Sohn kreuzigte, und warum er nichts tut, wenn Kinder an Leukämie sterben? Warum rettet eigentlich Batman die Menschen, aber Gott nicht?«
Nur: Wenn Gott auch für unser Wohlbefinden verantwortlich wäre, hätten wir die Welt der »Truman Show«. Wir wären alle die von Jim Carey so wunderbar gespielte, glücklich manipulierte Truman-Figur. Truman sagt sich jedoch am Ende los und wählt die Freiheit. Die allgemeine Glückseligkeit, der schwangere Mann und Catherine Deneuves Verhältnis mit einem Affen am Schluss von »Das brandneue Testament« sind grober Unfug. Der Film hinterlässt trotz beeindruckender Van-Dormael-Einfälle einen äußerst zwiespältigen Eindruck.
Claus Wecker
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