Bleiche Gesichter, aus denen blutunterlaufene Augen blicken, spitze Eckzähne, die sich nur zu gerne in weiße Hälse beißen – als Zuschauer glaubt man, in einem Gruselkabinett gelandet zu sein und nicht in einem Jungeninternat. Lucia Bihlers Inszenierung lässt Robert Musils Figuren Törleß, Basini, Beineberg und Reiting wie Vampire auftreten. Vor einer düsteren Waldkulisse, große Baumstämme und vier lange, aufgefächert stehende Stege sind die einzigen Requisiten, spielt die Handlung. Basini wird von seinen Kameraden beim Stehlen erwischt, doch halten diese den Vorgang geheim, um ihn als Lustobjekt und Prügelknaben missbrauchen zu können. Sadistische Machtspiele prägen das Stück, in denen die Zöglinge ihr Mannsein unter Beweis stellen und gleichzeitig die Grenzen des Menschseins ergründen wollen. »Boys don’t cry« steht in pinken Leuchtbuchstaben als Motto über der Bühne, dabei werden die Heranwachsenden allesamt von Frauen verkörpert: Kruna Savic mimt das Opfer Basini, das sich lieber von seinen Mitschülern quälen lässt, als den Diebstahl den Lehrern zu gestehen. Erziehungspersonen fehlen gänzlich, niemand scheint sich um die Belange, Sorgen und Nöte der Jungen zu kümmern. In einzelnen Sequenzen marschieren und singen sie und geben damit die militärisch orientierte Tradition des Internats wieder, in der es keinen Platz für Gefühle gibt. Die Prostituierte Božena ist die einzige auftretende Erwachsene. An ihr testen die Knaben zu Beginn ihre oralen Befriedigungskünste. Schon in dieser Szene bleibt Törleß passiv und nimmt die Rolle des Beobachters ein. So auch bei den grausamen Quälereien, die seine Kameraden Beineberg und Reiting, hervorragend gespielt von Kristina Gorjanowa und Elena Berthold, an Basini vollziehen. Getrieben von einem fortwährenden, zum vampirhaften Aussehenden passenden (Blut-)Rausch betreiben die beiden die charakterliche Zerstörung Basinis. Dabei sind die auf die Bühne projizierten Gewaltszenen verstörend realistisch, so dass man kaum hinzugucken vermag. Wie viel Erniedrigung und Leid hält ein Mensch aus? Was bleibt vom Menschen, wenn man ihm seine Würde nimmt? Über allen Grausamkeiten schwebt die Frage nach der Loslösung von allem Irdischen. Fragen, mit denen sich Törleß (Paulina Alpen) unablässig beschäftigt, wobei seine innere Orientierungslosigkeit durch einen in schwarzem Lackkostüm auftretenden Alter Ego (Maike Elena Schmidt) dargestellt wird. Wie ein Schatten begleitet er Törleß in Phasen der Grübeleien. Im Spannungsfeld von Sadismus und Lustbefriedigung einerseits, sowie metaphysischen und philosophischen Überlegungen andererseits versucht Törleß, den Mechanismus der Welt zu verstehen. Um am Ende mit der resignierenden Erkenntnis zurückzubleiben, dass es gar kein Rätsel gibt, das gelöst werden muss. Alles geschieht. Ein gnadenlos genialer Theaterabend.