Wird ihm das wirklich gerecht? Oder geschieht es ihm einfach recht? Diese Fragen kann man sich durchaus stellen nach der ersten großen Szene von Anthony McCartens Stück »The Two Popes«, mit dem das English Theatre an seiner Interimsstätte am Zoo eine turbulente Saison zum hochwürdigen Ende bringt. Sie führt den erzkonservativen Papst Benedikt XVI alias Joseph Alois Ratzinger als hinterwäldlerischen Liebhaber von Knödelsuppe und der österreichischen TV-Krimiserie »Kommissar Rex« ein. Was nolens volens zum Lachen ist. Aber, wie im Programm vermerkt, wohl auch wahr.
McCarten hat die Bühnenfassung seines eigenen Buches, das von Netflix mit Anthony Hopkins und Jonathan Pryce verfilmt wurde, keineswegs als Slapstick konzipiert. Ausgehend von der Abdankung Benedikts malt sich der neuseeländische Viel- und Erfolgsschreiber aus, wie der sensationelle Richtungswechsel vom deutschen Dogmatiker zum argentinischen Reformer Jorge Mario Bergoglio auf dem Heiligen Stuhl im März 2013 zustande gekommen sein könnte, und erfindet dazu ein Aufeinandertreffen der beiden so gegensätzlichen Kleriker ganz nach dem Motto: Schade für die Geschichte, wenn’s anders war.
Benedikts Widerpart wird uns ähnlich menschelnd nahegebracht. Der sich für die Menschen in den Barrios einsetzende Jesuit und Erzbischof von Buenos Aires tritt als ein emphatischer, lebensfroher Tangotänzer, Baseball-Aficionado und Abba-Fan ins Spiel. Die beiden Gottesmänner eint in diesem recht brav inszenierten Entrée, dass sie a) nicht mehr weitermachen wollen in ihren Ämtern, und b) dies jeweils einer Glaubensschwester anvertrauen. Der gesundheitlich angeschlagene, von einer Health-App in Schwung gehaltene 85-jährige Deutsche eröffnet seinen Entschluss, als erster Papst seit über 700 Jahren abzudanken, der davon wenig erbauten vertrauten Brigitta, während der amtsmüde Bergoglio (75) der nicht minder entsetzten jungen Sophia mitteilt, dass er frustriert vom ausbleibenden Wandel der Kirche ein Rücktrittsgesuch in Rom eingereicht habe.
Fern davon, einen Clash der Kirchenwelten zu zelebrieren, lässt McCarten das logisch folgende Treffen auf Geheiß des Papstes stattfinden. Der Disput zwischen dem geschliffen scharfsinnigen Theoretiker aus Bayern und dem emotionalen argentinischen Mann der Tat spart weder die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität, zur Abtreibung, zur Scheidung noch den sexuellen Missbrauch durch Priester oder die massenhafte Abkehr der Gläubigen in den westlichen Ländern aus und kulminiert in der gegenseitigen Beichte, in der der eine seine Haltung in der Missbrauchsfrage und die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend zur Sprache bringt und der andere seinen Deal mit der mörderischen Junta.
Eine Gratwanderung, ein dramaturgisches Spiel mit dem Fegefeuer, das auf der von blassgoldenen Petersplatz-Säulen im Halbrund gesäumten wandelbaren Bühne von Katie Lias prächtig gelingt. Die Regisseurin Psyche Stott, wir kennen ihre Arbeit von »Girl on A Train«, kann dabei ganz auf die Ausstrahlung ihrer routinierten britischen Darsteller vertrauen. David Acton bringt uns mit hartem Akzent die meist rigide, aber immer geistig durchdrungene Sicht des gebrechlichen Bajuwaren in einer bisweilen sympathischen Altersstörrigkeit näher, Michael Fenner macht sich den Part des emphatischen Gutmenschen keineswegs leicht und verleiht Bergoglio jene Ecken und Kanten, die das längst abgeschliffene Image des realen Franziskus prägen. Nachgerade genial sind die im Einstieg so wichtigen Frauenrollen besetzt, wissen doch Kate Milner-Evans, die ihre Schauspielkarriere in Osnabrück begann, und die Argentinierin Pili Vergara auch das nationale Kolorit ihrer Figuren blendend zu vermitteln.
Zum Besuch des in zwei gut einstündige Akte geteilten dialogintensiven Stücks sollte man gleichwohl ausgeschlafen sein. Trotz zündender Dialoge und nie abreißendem Witz ist es keine leichte Kost, die uns das Theater auf dem Weg in die Sommerpause serviert, sondern ein Stück, das achtsam genossen werden will und lange vorhält. Was auch deshalb nicht verkehrt ist, weil das English Theatre Frankfurt in der Spielstätte Zoo wohl erst im November wieder öffnen kann – mit einem Musical, so Gott will.