Das radikal Böse (Start: 16.1.2014)

Das radikal Böse (Start: 16.1.2014)Ganz normale Männer

»Das radikal Böse« von Stefan Ruzowitzky

Immanuel Kant befasste sich schon 1792 in einem Aufsatz mit dem »radikal Bösen«, als »eine Anlage zur Neigung, dem Sittengesetz zuwider zu handeln«. Hannah Arendt griff dann nach dem 2.Weltkrieg den Begriff wieder auf, um nach einer Erklärung für den Holocaust zu suchen. Der österreichische Oscar-Preisträger (»Die Fälscher«) Stefan Ruzowitzky versucht sich nun filmisch dem Thema zu nähern. Mit »Das radikal Böse« schuf er ein brilliantes, unter die Haut gehendes Doku-Essay über die Abgründe der menschlichen Seele.

Stefan Ruzowitzky hat seinem Film ein Zitat des Schriftstellers und KZ-Überlebenden Primo Levi vorangestellt: »Es gibt die Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen.« Und so geht der Film dann auch hauptsächlich der Frage nach: »Wie werden aus ganz normalen jungen Männern Massenmörder?« Mit einem filmischen Kunstgriff gelingt es dabei Ruzowitzky, den Zuschauer gleichzeitig zu emotionalisieren, aber auch auf Distanz zu halten. Er hat Szenen aus dem geradezu idyllisch anmutendem Alltagsleben der Wehrmachtssoldaten in Osteuropa nachgestellt, die durch die teilweise Verwendung des Split-Screen-Verfahrens auch einen vordergründig unterhaltsamen Anstrich bekommen. Stumm gespielt von unbekannten, oft in Großaufnahmen eingefangenen, »Gesichtern« und unterlegt mit – von bekannten Schauspielern (u.a. Nicolette Krebitz, Alexander Fehling, Benno Fürmann, Andreas Schmitt, Devid Striesow ) gesprochenen – Auszügen aus Briefen und Tagebüchern gefallener Soldaten und aus Gerichtsprotokollen der Nürnberger Prozesse, bekommen diese Texte eine Wucht, die man kaum aushalten kann: »Männer, Frauen Kinder, alles umgelegt, liebe Heidi. Mach dir keine Gedanken darüber, es muss sein.«

Den Spielszenen stehen NS-Wochenschauen, private Schmalfilm-Aufnahmen , Interviews mit (Militär-)Psychologen und Historikern gegenüber. Sinnbildlich ergänzt durch eine theaterhaft-minimalistische Inszenierung der drei bekanntesten psychologischen Experimente über Macht und Ohnmacht: Das »Konformitätsexperiment« von Asch über den fatalen Einfluss von Gruppenzwang. Das »Milgram-Experiment«, das die freiwillige Unterordnung unter Autoritäten bis hin zum Mord vorführt. Und das »Standford-Experiment«, das Soldaten zu Sadisten werden lässt. Durch die geschickte Kombination der verschiedenen Inszenierungsstile und die kluge Montage ist der Zuschauer einerseits unter den Tätern, die Ruzowitzky nie zu Opfern stilisiert, die sich auf einen Befehlsnotstand berufen können: den Widerstand war damals durchaus möglich, ohne dass man wegen Befehlsverweigerung selbst erschossen wurde. Metaphorisch gesprochen sind die Mörder aber immer noch unter uns, wie es der Holocaust-Forscher Père Desbois feststellt: »Es stört mich, wenn von unmenschlichen Taten die Rede ist. Schön wär‘s! Leider ist Genozid etwas zutiefst Menschliches«. »Das radikal Böse« ist, so gesehen, nicht nur der Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, der Film hält auch der heutigen Zeit den Spiegel vor. Er sollte zur »Pflichtlektüre« im Schulunterricht und im Fernsehen zur Prime-Time ausgestrahlt werden. Vielleicht kann man so dazu beitragen, dass sich Geschichte nicht wiederholt.

Rolf-Ruediger Hamacher
DAS RADIKAL BÖSE
von Stefan Ruzowitzky, D/A 2013, 106 Min.
Non-fiction Drama
Start: 16.01.2014

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