Das Schauspiel Frankfurt zeigt das Wutbürgerstück »Furor«

Nicht nur die Philosophie malt bisweilen ihr Grau in Grau. Auch die Bühnenbildnerin Lydia Merkel tut es. Ihre 2-ZKB-Mietwohnung der Altenpflegerin Nele Siebold könnte kaum trister gestaltet sein: eine vor die Großprojektion eines Plattenbaus drapierte Ikea-Landschaft aus Sofa, Tisch, Stuhl und Stehlampe. Farblos. Aus diesem Zimmer kommen wir in den nächsten 110 Minuten nicht mehr heraus, auch nicht aus diesem Realismus.
Die Wirklichkeit ist von jeher das Thema des erfolgreichen Autoren-Duos Lutz Hübner/Sarah Nemitz, das »Furor« als Werkauftrag des Frankfurter Intendanten Anselm Weber schrieb. Ein Stück über Politikverdrossenheit, dessen aktuelle Relevanz vor drei Jahren nicht zu erahnen war, als es die Arbeit aufnahm. Neben der von Katharina Linder verkörperten Mieterin gibt es den Ministerialdirigenten Heiko Braubach (Dietmar Bär) und den politisch radikalisierten Hilfsarbeiter Jerome (Fridolin Sandmeyer).
Der Berufspolitiker ist um die 50 und steht mitten im Wahlkampf um den Oberbürgermeister. Jerome ist ein 29jähriger Schul-, Lehre- und Totalabbrecher aus zerrütteter Familie, der nun Pakete zum Mindestlohn ausfährt. Und er ist der Cousin von Nele Siebolds rauschgiftsüchtigem Sohn Enno, welcher ist Braubach vor das Auto gelaufen und nun schwerversehrt im Krankenhaus liegt – selbstverschuldet, so die Ermittlungen. Als der Politiker die Mutter aufsucht, um ihr Unterstützung anzubieten, sieht Jerome seine Stunde gekommen. Für die internet-fokussierte Szene, der er sich zuordnet, steht längst fest, dass hier mal wieder etwas vertuscht werden soll von denen da oben.
Obwohl Braubach mit Frau Siebold fast einig ist, willigt er zu einem Vier-Augen-Gespräch mit dem Neffen ein, dieweil die Tante eine Runde um den Block dreht. Für einen Politiker sozialdemokratischer Prägung aus einer Arbeiterfamilie, der selbst erst über den zweiten Bildungsweg kam, scheint der Mix aus Neugierde, Milieuverbundenheit und demonstrativer Offenheit plausibel. Dass das folgende »Gespräch« zum Kampf bis aufs Messer eskaliert, liegt aber nicht daran, dass hier ein Wort das andere ergäbe. Es ist Jerome, der wie unter Fieberschüben eine Stufe nach der anderen zündet. Dabei gibt es abseits des Nationalismus kein Schlagwort aus dem Arsenal der Rechten, das er nicht bemühte.
Landen kann Jerome damit nicht. Nicht bei Braubach, der durchaus Wirkung zeigt und gar Zweifel an seinem Auftritt aufkommen lässt, aber selbst mit einem Laguiole-Imitat am Hals nicht zu fassen ist für Jeromes blinden Zorn. Und auch nicht beim Publikum. Zu plakativ, zu formelhaft gerät trotz starker und auch einnehmender Momente sein Tribunal. Weshalb Braubach nicht einfach geht, bleibt offen, irgendwas hält ihn – im Hahnenkampf? Als die Tür wieder aufgeht und Nele Siebold zurückkehrt, ist der Spuk schlagartig vorbei.
Sandmeyer, der schon optisch mit Kriegerkahlrasur in Taxidriver-Manier überrascht, gibt Jerome als vom Leben beleidigten Menschen, der jede aufkommende Unsicherheit mit der Flucht in Aggression kaschiert. Bärs Braubach kämpft sichtlich mit seiner Rolle als Politiker und der ihm immer wieder entgleitenden Situation. Herauskommt das fesselnde Typenspiel einer fast klinischen Fallstudie, die ihre ganze Wirkung wohl erst beim Bier, beim Wein im Gespräch entfaltet. Rätsel gibt allein Linders Nele Siebold auf, die beim Gang um den Block vom Sisyphus zum Phönix aus der Asche mutiert. Mit strengem Verweis bringt die zuvor Verzagte die Lage ins Lot und die Autoren aus der Verlegenheit, einen Ausweg aus einer ausweglosen Situation zu finden. Ein Stück, das niemanden gefallen will. Wie auch?

Winnie Geipert (Foto: © Thomas Aurin)
Termine: 21., 22. Dezember, jeweils 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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