Das Staatstheater Wiesbaden bringt uns Euripides‘ »Bakchen« nah und näher

Nach oben steigt der gewellte Bühnenboden, hinten im nebligen Dunkel muss das Kithairon-Gebirge liegen, eine Art antiker Brocken nahe Theben, auf dem sich keine Hexen, sondern die Anhängerinnen des Dionysos alias Bacchus tummeln, des für Wein, Rausch und Ekstase stehenden Sohnes des Zeus und der Semele. Euripides (484–406 v.u.Z.) hat sein letztes Werk nach dessen ausschließlich weiblichen Fans benannt und die preisgekrönte Aufführung im Jahre 405 schon nicht mehr erlebt. Einig ist sich die Kritik seither, dass die Tragödie als Mahnung zu verstehen ist, uneinig allerdings wovor.
Erzählt wird, wie der das Lustprinzip verkörpernde Dionysos den König von Theben, Pentheus, für seine Weigerung bestraft, ihn als Gott anzuerkennen, und von der eigenen Mutter Agave zerfleischen lässt. Dem grausamen Ende voraus geht die Verführung Frauen Thebens, die scharenweise Heim und Herd in Richtung Gebirge verlassen, und der vergebliche Versuch des Pentheus, dem Eindringling mit staatlicher Gewalt beizukommen.
Von Dionysos überredet, lässt sich Pentheus darauf ein, die Orgien auf dem Kithairon verkleidet aus einem Versteck zu beobachten. Dort entdeckt und für ein wildes Tier gehalten, reißen ihn die Frauen, allen voran seine Mutter Agave, mit Zähnen und Klauen in Stücke.
Regisseur Sebastian Sommer serviert uns »Die Bakchen« als ein Stilamalgam in der modernen Übersetzung Raoul Schrotts. Dabei scheut er sich nicht, eigene umgangssprachliche Akzente zu setzen, wenn er dem Zeus-Sohn ein langgezogenes Okay unterjubelt oder – albern und des Schlechten zu viel – Agave (Marie Luisa Kerkhoff) im schockhaften gewahr werden ihrer Tat, den Kopf des Getöteten mit »Penthi« und »Ja, wo treibst du dich denn rum« ansprechen lässt.
Die Figur des Dionysos, der sich uns hornbehauptet im Reifrock offenbart, ist mit Sybille Weiser und ihrer gefährlich nah an der Kippe zu Popsofa-Rickys torkelnder Stimme nachgerade spektakulär besetzt. Tatsächlich spielt auch Euripides mehrfach auf dessen unmännliche Erscheinung an. Der attische Chor – und nicht nur der – tritt in kunterbunten Rüschen auf und veranstaltet, von live gespielten Rhythmen (Jan Brauer, Esmeralda Conde Ruiz) angetrieben, ein mitreißendes Sprachstakkato, während das enthemmte Treiben der Mänaden schemenhaft und schwarzweiß auf Hintergrundvideos angedeutet wird. Ganz klassisch dagegen kommt der Bote (Felix Strüven) ins Spiel, der beim ersten Auftritt von den sexuellen Ausschweifungen wissen lässt und beim zweiten vom gruseligen Ende des Königs. Was sich ziemlich zieht, weil der Beitrag im Kontrast zum sonstigen Tempo der nur 90-minütigen Bühnenschau steht. Souverän und mit reichlich Witz gestaltet Matze Vogel seine Rolle als überforderter Herrscher Pentheus, Benjamin Krämer-Jenster und Noah Perktold fügen sich als Kadmos und Tiresias in Geschehen. Einen ganz besonderen Moment hebt sich die Inszenierung mit dem finalen Auftritt Marie Luisa Kerkhoffs auf, der uns mit großem Spiel die ganze Fallhöhe dieser Tragödie endlich spüren lässt. Mehr davon!°

Winnie Geipert / Foto: © Christine Tritschler
Termine: 3., 23. März, jeweils 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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