Auf Störung aus
Jerusalem, zwischen zwei Kreuzzügen. Es herrscht Waffenstillstand zwischen Sultan Saladins Truppen, den besiegten Kreuzrittern und den nicht direkt involvierten, aber doch schmerzlich betroffenen Juden der Stadt. Saladin hat Geldprobleme und will sie mit dem reichen Nathan lösen.
Gotthold Ephraim Lessings »Dramatisches Gedicht« aus dem Jahr 1779 beginnt mit dem Bericht über die Rettung von Recha, der Ziehtochter Nathans, aus einem brennenden Haus durch einen Kreuzritter, den Tempelherren. Die Beziehungen entwickeln sich kompliziert, aber fast (!) alle finden sich am Ende als Familie wieder. Mit der von Boccaccio entlehnten Erzählung vom Vater, den drei Söhnen und den drei Ringen – der Ringparabel – scheint ein für allemal der Frieden zwischen den Religionen hergestellt. Wirklich? – Nicht so bei Willy Praml.
Schon zu Beginn, bedeutungsvoll in Szene gesetzt, stört und zerstört der Theatermacher das Gleichnis Nathans, lässt seine Parabel in Rauch aufgehen. Das zweite Mal, an dramatisch richtiger Stelle, löscht ein Stromausfall das Licht der Aufklärung und die Erzählung Nathans. Erst mit vielen Stimmen im Fackelschein, auf hebräisch, arabisch und deutsch, und von Mensch zu Mensch kann ihre Botschaft zu Ende erzählt und für jeden einzelnen verständlich werden. Doch die fatale Sentenz »Tut nichts! Der Jude wird verbrannt« stört fast bis zum Schluss die sich anbahnende märchenhafte Harmonie. Versöhnung? Auch die 5. Sure des Koran spricht davon: »Wetteifert darum im Guten«, so könnte es, zu Mozarts Musik, enden. Aber da bricht die Gegenwart ein.
Wieder einmal erweist sich die Naxoshalle als großartiger Theaterraum. Sie wird in Länge und Breite auf schnell aufgestellten Brettern bespielt, statt unter Palmen wandelt der Tempelherr an der weißen Längswand mit Fluchtmöglichkeit durch die Fenster, das Licht im Hintergrund wechselt sinnhaft die Farbe. Im Schwarz der Trennwand zwischen Vorderbühne und Halle spiegeln sich die zerbrochenen Säulen Jerusalems mal als Kreuz, mal sehen sich die Zuschauer mit sich selbst konfrontiert (Bühne, Kostüme: Michael Weber).
Die Schauspieler sind alle phantastisch, vorneweg Jakob Gail als Nathan, der auf der einen Seite lässig und gewitzt, auf der anderen fast zu Tränen rührt. Reinhold Behling verwandelt sich auf offener Bühne vom Klosterbruder (auf Stelzen) glaubhaft in den fanatisch bösartigen Patriarch. Michael Weber kämpft als Tempelherr hartnäckig und überzeugend mit seinen Schuldgefühlen. Temperamentvoll wird die junge Recha, – in Schwarz, da fast verbrannt – von der deutsch-kurdischen Schauspielerin Nina Karimy verkörpert. Ausdrucksstark und witzig zugleich sorgen Muawia Harb als standesbewusster Sultan Saladin und Mohammad Ismail als gerissener Derwisch Al Hafi, für entspannte Momente. Birgit Heuser gibt die kluge Schwester Sittah des Sultans und Daja, die durchaus gefallsüchtige und fundamentalistisch angehauchte christliche Gesellschafterin Rechas. Ein hebräischer Chor gläubiger Juden unter Leitung von Bettina Strübel begleitet Nathans Schicksal wie das des jüdischen Volkes mit Psalmen, Propheten- und jiddischen Gesängen. Hervorzuheben ist auch die wunderbare syrisch-arabische Feuerwehr, die nicht nur zur Stelle ist, wenn sie gebraucht wird, sondern auch den Koran chorisch zum Klingen bringt.
Der nicht leicht zu sprechende lessingsche Blankvers ist bei den Schauspielern in Praml-Manier gut aufgehoben, in oftmals stilisierten Bewegungsabläufen finden die argumentativ-dialektischen Streitgespräche einen starken choreografischen Ausdruck. Und fast schon selbst-verständlich wirkt die hebräisch-arabisch-deutsche Sprachenvielfalt. Anstrengend und unbedingt sehenswert!