Nun ist er selbst auf der Bühne, der selbsternannte »Impresario von den Kanaren«: Nibbio, der für sein dort eröffnetes Opernhaus eine außergewöhnliche Sängerin sucht und sie in einer völlig überschätzten Dorina zu finden meint. Die Kurzoper (Intermezzo genannt) des gänzlich vergessenen Barockkomponisten Domenico Sarro entlarvt in ihrer Rezitativlastigkeit und dürren Instrumentierung den Musikbetrieb als eine durchaus bühnenreife Sammlung von Eitelkeiten. Der lüsterne Opernmann Nibbio stellt sich als »Ausbund der Begabung« dar, der nicht nur in einem Monat fünfzehn Singspiele komponiert habe, sondern auch bei herausragender Stimme sei (… Hunderte von Noten verschlingen …). Die Sängerin Dorina (wunderbar aufgetakelt Ingrid El-Sigai) kann dem Gockel nicht nur das Wasser reichen.
Raffiniert fordert sie von ihm vielmehr auf einem Blankoscheck für eine eventuelle Zusammenarbeit ausschließlich Hauptrollen mit den »längsten Arien«, besten Textdichtern und, zusätzlich zum Honorar, wöchentlich zwei Geschenke. Der Impresario fordert dafür unverblümt »erotische Gegenleistungen«. Ein Geschäft, das schon damals (wie man heute besser weiß) nicht aufgehen konnte.
Die buchstäblich zur Schau gestellten, wenigen Arien beider Protagonisten übertreffen sich in ironischer Schlichtheit. Thomas Peter (makellos textverständlich!) kostet die Rolle des testosterongesteuerten Impresario genüsslich aus; die vielseitige Sänger-/Darstellerin Ingrid El-Sigai ist ein Hingucker (und taucht im nachfolgenden »Bajazzo« noch einmal wie eine Todesbotin des Canio auf).
Das alles spielt sich im Vordergrund einer italienischen Bar ab (Bühnenbild: Frank Keller und Mateo Vilagrasa), die im folgenden »Bajazzo« auch für die Besucher des Dorfzirkus herhalten wird, in dem sich das tödliche Eifersuchtsdrama zwischen Canio (der Bajazzo: Emilio Ruggerio) und seiner leichtlebigen Frau und Komödiantin Nedda (sehr agil und glaubwürdig) ereignet. Bauer Silvio (Daniel Pohnert) und Komödiant Tonio (wieder der überragende Thomas Peter) fallen gestalterisch aus dem Rahmen, während das Volk (Chor: Armin Rothermel) und das recht ausgedünnte Orchester doch etwas mit den akustischen Tücken der Orchestermuschel zu kämpfen haben. Die expressive, herzzerreisende Dramatik der Partitur Ruggero Leoncavallos lässt sich unter den Bäumen oft nur wie hinter einem Gaze-Vorhang erahnen. Dennoch: Rainer Pudenz, Regisseur und Chef der Kammeroper, und George Jackson am Dirigentenpult haben es an grotesken, ironischen Einfällen nicht fehlen lassen, um vielfache Klischees zu entblößen – Oper nicht nur für‘s elitäre Publikum: bei Wurst, Wein, Gesang unter sommerlichem Abendhimmel im Palmengarten (und einer überaus interessierten Ente zwischen den Zuschauerreihen) war es wieder ein empfehlenswertes Vergnügen.