Helon Habilas großer Roman über das Leben in Nigeria
Literatur aus Afrika hat es bei uns schwer. Nicht ganz zu Unrecht, denn viele Veröffentlichungen sind gut gemeint, wenige wirklich gut. Es gibt zum Glück Ausnahmen. Der Nigerianer Helon Habila gehört dazu. Er hat Literatur studiert und später, auch in den USA, gelehrt. Er hat auch als Journalist gearbeitet. Das heißt: er kann schreiben. Und: er kennt die Verhältnisse über die er schreibt. Das Ergebnis: ein großes Buch.
Ein spannender Entführungsfall. Das Opfer, eine Engländerin, ist Frau des Mitarbeiters einer Erdölfirma in Port Harcourt in Nigeria, im Delta des Niger. Ihr Mann bittet den ehemaligen Starjournalisten Zaq »zweifelsohne einer der besten, die das Land je hervorgebracht hatte«, jetzt zum Säufer geworden, den Spuren seiner Frau zu folgen. Rufus, der 25 jährige Ich-Erzähler, hat sein Idol Zaq vor etlichen Jahren in Lagos auf der Journalistenschule kennengelernt. Er ist, wie sein Vorbild, voller Tatendrang und immer auf der Suche »nach der perfekten Story«. Ein Journalist in Nigeria steht ständig unter Strom, ist ständig in Gefahr, und er weiß genau, »wie armselig und minderwertig das Leben« ohne diese Herausforderung wäre.
Das Öl bringt den Dorfbewohnern kurzfristig Wohlstand, aber auf Dauer nur Unglück. Entweder verlassen sie für Geld ihre Heimat und werden zu »heimatlosen Wanderern« oder, wenn sie bleiben, verseucht die Ölförderung ihr Wasser, das Vieh stirbt, die Pflanzen verdorren, die Menschen werden krank. Die Bewohner leben mit der Katastrophe. Rufus, der aus einem kleinen Dorf stammt, erlebt, wie ein Öllager in Brand gerät. Seine bildhübsche Schwester wird vom Feuer verunstaltet. Die Bewohner Nigerias geraten ständig zwischen die Fronten. Einerseits werden sie von der Militärregierung bedroht, andererseits von den Rebellen. Deren Anführer nennt sich »Professor«, gibt sich zwar aufgeklärt, ist jedoch genauso gnadenlos wie die Regierungssöldner. Angesichts des Krieges, der da draußen tobt, spielt es keine Rolle, »ob eine Person lebt oder nicht«, man muß »das Große und Ganze sehen«. Rufus, jung und voller Ideale, wird einmal von einem Major verhöhnt: »Ihr Journalisten mit euren hochtrabenden Vorstellungen von Menschenrechten und Gerechtigkeit, alles Unsinn«.
Bei dem Versuch, die entführte Britin aufzuspüren, müssen die Journalisten brutale Massaker, Folter und erniedrigende Behandlung der Bevölkerung mit ansehen und geraten selber in äußerst gefährliche Situationen. Das ist spannend beschrieben, in einer bildreich poetischen Sprache. Und zugleich so informativ, wie es wohl die Reportagen von Zaq einmal gewesen sind. Selbst wenn die Gefangenen gefesselt am Boden liegen und um ihr Leben zittern, wenn sie dann auch noch mit Benzin übergossen werden, so daß in der glühenden Hitze ihre Haut austrocknet und aufplatzt, und der Anführer der Rebellen buchstäblich mit dem Feuer spielt, wird das ohne jedes Pathos, aber mit äußerster Genauigkeit beschrieben.
Überall in Nigeria herrscht die Gewalt. Nur auf einer Insel scheint sie keine Chance zu haben. Hier leben, in scheinbar ungefährdetem Frieden, die »Glaubensanhänger«. Sie haben Schreine errichtet, Figuren aus Holz und Lehm gebaut, die darüber wachen sollen, daß sich eine solche Zeit nie wiederholt, als »das Blut der Toten die Flüsse speiste und das Wasser mit Blut gesättigt war, daß die Fische starben und die Leichen … im Fluß schwammen, bis die knorrigen Mangrovenwurzeln sie am Ufer einfingen oder sie in den schlammigen Sümpfen steckenblieben.«
Das Buch liest sich bis zum Schluß wie ein spannender Krimi. Es ist zugleich ein Liebesroman und eine schonungslose Sozialreportage ohne jede Schwarzweiß-Zeichnung. Habila beschreibt die Profitgierig der Ölkonzerne, denen ein Menschenleben keinen Pfifferling wert ist, soweit es die Nigerianer betrifft. Für die eigenen Mitarbeiter zahlen sie zur Not viele Millionen. Helon Habila, der nigerianische Autor, ist, davon bin ich überzeugt, auf dem Weg in die Weltliteratur. Wir können ihn – lesend – dabei begleiten.
Sigrid Lüdke-Haertel