Der leichte Anklang an Marguerite Duras (»Ganze Tage in den Bäumen«) ist, nicht nur im Titel, kaum zu überhören. Elisabeth Gräfin von Plessen, promovierte Germanistin, ist vor Jahrzehnten (1976) schon durch ihre »Miteilungen an den Adel« bekannt geworden. Es war auch ihr Abschied vom Adel. Sie hat fast dreißig Jahre mit dem Regisseur Peter Zadek zusammengelebt und zusammengearbeitet. Sie hat (meist für ihn) viel übersetzt, vor allem Shakespeare, auch Strindberg und Ibsen. Und auch selbst, ihrem Traum »in den Bäumen« folgend, hat sie immer weiter geschrieben. Ihr neuester Roman, eben diese Frau in den Bäumen, erzählt, facettenreich, reflektiert und (dadurch) auch spannend von dem Verhältnis einer jungen Frau zu ihrem fast doppelt so alten Mann.
Zwei gleichlange Kapitel. »Aufbruch«, »Bruch«. Danach folgt, nur noch zehn Seiten lang, ein kurzer Abschnitt, »Coda« genannt, was auf der Autobahn ein Stau bedeuten würde, in der Musik hingegen den ausklingenden Teil eines längeren Stücks. Anna, die Ich-Erzählerin, erzählt. Von dem, was passiert. Und ebenso von dem, was sie denkt, auch über das, was passiert.
Sie ist Ende zwanzig, gerade mit der Promotion fertig geworden, und lebt mit dem mehr als zwanzig Jahre älteren Leo in dessen Wohnung in Berlin. Er ist Rundfunkredakteur, sie schreibt ständig etwas in ein Notizheft, genießt aber sehr ihre »potenzielle Unbehaustheit«. Sie weiß (noch) nicht, was sie wirklich will. »Über eine Anleitung, mich in einem eigenen Leben einzurichten, verfügte ich nicht.« Sie reisen beide nach Italien, denn Leo hat ein kleines Haus mit Blick aufs Meer gemietet, das aber eher »ein ausgebauter Stall« ist. Sie liebt es, dort im Wald umherzuirren »und jedes Mal, wenn ich zum Haus zurückfand, verspürte ich Zufriedenheit«. Sie fühlt sich wohl mit dem wesentlich älteren Mann und weiß doch, dass ihre Beziehung immer komplizierter werden würde, »je breiter, tiefer der Graben des Altersunterschieds wurde«.
In diese Idylle hinein platzt ein Telegramm. Annas ungeliebter Vater ist gestorben. Und kaum eine Stunde später, nachdem sie diese Nachricht erhalten hatte, nach dem Motto: wenn schon, denn schon, schlägt auch noch der Blitz in ihre Hütte ein und beschädigt das Dach.
Sie müssen ihr Domizil verlassen und ziehen weiter nach Rom, wo sie bei einem Freund namens Robert unter kommen. Er besitzt ein zweistöckiges Landhaus, und zudem ein weites Herz. Auch andere Freunde wohnen zeitweise dort. Vor allem kluge, unabhängige Leute, Intellektuelle, die wohl nicht auf die Erträge ihrer Arbeit angewiesen, aber dennoch produktiv sind,
Man schwimmt im Pool, spielt Tischtennis, kocht und isst gemeinsam und diskutiert. Einer der Gäste, Matteo, ein Italiener, der in der Nähe wohnt, aber als Filmemacher und Kameramann viel unterwegs ist, beginnt eine Liebesbeziehung mit Anna. Ihrem alten Leo scheint dieses Verhältnis doch mehr auszumachen, als er sich eingestehen will. Er reagiert gereizt, wirft ihr sogar an den Kopf: »Ohne mich bist du nichts.«
Anna fliegt zur Beerdigung ihres Vaters nach Hamburg. Auf dem Rückflug wird ihr klar, »dass Leo zusammen mit dem anderen, den ich soeben beerdigt hatte, in mir gestorben war.«
Bei Robert in Rom geht es ihr gut, Leo ist alleine zurück in das unterdessen reparierte Häuschen, den »Stall« zurückgekehrt.
»Ich bin geliebt, verliebt und festgehalten.« Matteo »steckte mich wie selbstverständlich in sein Leben«. Egal, wer bei Robert gerade wohnt, ein Otto, ein Johannes oder ein Gino, man diskutiert , wie Anna bewundernd und resigniert zugleich bemerkt, unaufhörlich.
Sie hält sich zurück, schreibt ihre Gedanken lieber in ein Notizheft. Aber Halt findet sie dadurch nicht. Sie spürt: »das Nest, das ich mir baue, sind bloß Wörter und Sätze, Hochseilakte, Luftgebäude, die mich nicht tragen, niemanden tragen, gerade noch sich selbst, wenn es hoch kommt.« Sie fühlt sich wie ein Parasit, der auf Kosten anderer lebt.
Matteo, der einen Film über Che Guevara plant, nimmt sie schließlich mit seinem Team mit auf eine Insel. Sie bewundert ihn, wie er seinen Beruf beherrscht, während sie hin- und hergerissen ist: »ohne Beruf und ohne Beherrschung.« Ihre Passivität bleibt ihr Problem.
Die »Frau in den Bäumen« schwebt immer leicht über der Realität und sucht doch immer auch nach Bodenhaftung.
Doch am Ende des Buches sitzt Anna im Flugzeug nach Berlin. Weiter »auf der Suche nach Gleichgewicht«. Wie es mit ihr und Matteo weiter gehen könnte, bleibt offen. Sie kehrt in Leos Wohnung zurück, eine andere Bleibe hat sie nicht. Ihr Schlüssel passt noch. Die Wohnung ist unverändert. Aber nur drei Tage lebt sie da alleine und schreibt auf, was wir hier lesen: »jetzt höre ich eine Autotür zuschlagen, gehe aber nicht ans Fenster und sehe nicht nach, ich schreibe, höre dann den Ruf. Anna.«
Wie es einst bei Marcel Reich-Ranicki hieß: »Vorhang zu und alle Fragen offen.«