Amelie, very british
Die Geschichte beginnt wie ein absurdes Märchen um das Kind Bella, das auf geheimnisvolle Weise von Enten groß gezogen wurde und dann wohl von einem der Greise entdeckt wurde, die unsere Parks unsicher machen. Sie wuchs in Angst vor der Natur und vor allem vor Pflanzen auf und bringt mit ihrem unnatürlichen Ordnungsdrang sogar die Nonnen von Sankt Fideles auf. »Ich bin kein religiöser Mensch«, erklärt der Off-Erzähler, »aber ich glaube, dass irgendwer Bella zu uns geschickt hat, um uns auf die Probe zu stellen.«
Dann stellt sich heraus, dass diese Off-Stimme dem Nachbarn der Heldin gehört, übrigens selber ganz und gar nicht mehr der Jüngste, und ein sehr unzuverlässiger Erzähler, wie sich zeigen wird. Bella wird zwar von ein paar bizarren Phobien gepeinigt, hält manische Ordnung im Inneren ihres Hauses, und lässt den Garten darum herum heillos verwildern, weil sie wirklich eine panische Angst vor aller Unordnung der Natur hat. Aber ansonsten sind Bellas Ticks auch nicht viel seltsamer als die der meisten anderen Figuren in diesem Film. Und dieser Film wird nun spürbar gemächlicher.
Gerade will Bella ihrem Leben eine neue Richtung geben. Sie nimmt eine Stellung in einer Bibliothek an, deren Leiterin hauptsächlich »Silence« und »Shhhh« sagt und sich ansonsten hauptsächlich mit Magnetbuchstäben auf einer Tafel verständlich macht. Zwischen den Büchern, die natürlich ihrem Ordnungssinn entgegenkommen, macht Bella die Bekanntschaft des mehr oder weniger verrückten aber sehr netten Erfinders Bill, und als sie sich auf der Suche nach einem im Sturm davongeflatterten Entwurf seiner mechanischen Ente dann doch in den nächtlichen Garten wagt, fällt sie in die Hände des grimmigen Nachbarn und seiner unter ihm lebenslänglich leidenden Ärztin. Und dort lernt sie auch Vernon kennen, allein erziehender Vater von Zwillingen und mehr oder weniger sklavisch bei diesem Mr. Stevenson angestellt. Vernons Revolte (sie kommen sich im Gälisch ihrer irischen Heimat näher) führt dazu, dass Bella ihn anstellt, was den Krieg mit ihrem Nachbarn auf eine neue Ebene hebt. Der Vermieter erscheint, und stellt Bella schließlich eine letzte Frist, den Garten in vertragsgemäße Ordnung zu bringen. In einem Monat also muss Bella ihre Panik überwinden und zur Gärtnerin werden, was ihr, wenn überhaupt nur mit Hilfe des Nachbarn gelingen kann, der im Gegenzug verlangt, dass ihn Vernon weiterhin mit seiner Kochkunst bedient. Als Plot reicht das alles vollkommen aus, denn natürlich geht es in diesem Märchen von der Erweckung eine multiphobischen Dornröschens durch drei sehr unterschiedliche Männer um ganz andere Dinge. Um Bild-Arrangements zum Beispiel: Bella sortiert jedes Essensstück nach geometrischen Mustern, hat für jeden Tag eine eigene Zahnbürste, nunja, wie Zwangsneurotiker eben so sind, im Kino. Aber andersherum ist natürlich auch alles, was Bella macht, irgendwie Kunst, und noch mehr ist das, was die Kamera daraus macht, Kunst, oder doch angenehmes Kunsthandwerk, mindestens. Auch Bills fliegende mechanische Vögel sind natürlich Kunstwerklein, die ihrerseits Bella zu einer Kindergeschichte um den Vogel Luna anregen, die wiederum ihre eigene Geschichte, und nicht zuletzt und vor allem ist der Garten selbst ein Kunstwerk, in das die Kamera schwer verliebt ist.
Eine höchst amüsante, hübsch anzusehende Etüde in zärtlichem Nonsense für Menschen, die all das lieben, was zwischen »Die fabelhafte Welt der Amelie« und britischer Fantasy-Versponnenheit liegt, es ist eine Spur »Alice in Wonderland«, etwas RomCom-Gefühl und natürlich jede Menge sehr britischer Gartenfetischismus im Spiel. Fast schon einen Grad an unziemlicher Härte weist da eine Dialogstelle auf: »Ich wollte nur ein bisschen aufräumen«, sagt Bella bei ihren ersten Versuchen, den Garten zu, naja, gestalten, und ihr Nachbar antwortet »Ich nehme an, das hat Hitler auch gesagt, als er Europa überfiel«. »Der wunderbare Garten der Bella Brown« ist eines jener Feelgood-Movies, die es mit dem Wohlfühlfaktor dermaßen übertreiben, dass man sie fast schon wieder als Parodie sehen kann. So viele Waisen, Mehrlinge, Geheimexistenzen, wunderbare Wendungen zum Guten, Zauberenten und Kunstproduzenten aus Melancholie, so viel Ersatzfamilie und skurrile Zweckgemeinschaft, so viel Glück und Gnade und Erlösung und Befreiung gibt es nicht einmal in der Hardcore-RomCom, und weil alles zwischen Bibliothek, Ententeich, Erfinderwerkstatt, Krankenlager und nun eben Garten spielt, weiß man, dass es sich nur um einen Büchertraum handeln kann, nicht um Menschen, die sich ihre Märchen träumen, sondern Märchen, die sich ein paar passende Menschen erträumen. Oder es hilft, anders gesagt, immer wieder nur der leichte Einschlag von Albernheit, nostalgischer Schwelgerei und harmlosem Surrealismus, damit das alles nicht gar so richtiger Kitsch wird. Denn natürlich ist auch Bellas Garten nichts anderes als ein Kunstwerk, das das Leben auf eine bessere Weise fortsetzt, und sogar den Tod, und Kunst wird am Ende aus alledem, wenn Bella über Luna phantasiert, mit dem Hintergrund der neuen Passion für Pflanzen und Natur und mit dem kleinen Chaos mit Vernon. Doch nun zum vierten Akt, Retardierung. Der ist wiederum so kurz und rasch abgehakt, dass man auch nur wieder mit Recht eine Parodie sehen kann. Bella verliert Job, Freundin und Mut, bis alle zusammen helfen, Heuschnupfen oder nicht, und dann ist das Gartenwunder perfekt. Sogar ein Tänzchen müssen Bella und Mr. Stevenson auf den Rasen legen. Und eine sehr, sehr abenteuerliche Auflösung der Liebesverwicklungen, bei der ein Bus und schon wieder ein Zwilling, genauer gesagt, ein Drilling ihre Rollen spielen, und natürlich muss auch noch etwas Trauriges geschehen. Und der Garten wird sein, wozu er bestimmt ist, das Paradies für spektakulär gestörte Künstler. Und das Märchen wird, da es Bellas Bestimmung zur Kinderbuchautorin erfüllt, zur Wirklichkeit.
Man darf wohl behaupten, dass, wer sich hier nicht amüsiert, weder Augen noch ein Herz haben kann. Andererseits hat aber auch keinen Kinoverstand, wer hier besonders viel mehr erwartet als ein solches nun wirklich ganz und gar unschuldiges Vergnügen. Zur Amélie wird Bella im Leben nicht, auch wenn Jessica Brown Finlay sehr viel mit Audrey Tautou gemein hat. Dazu fehlt ihr bei der lyrischen Verwandlung der gestörten Welt in Kunst das Quantum Anarchie. Dies ist vermutlich der argloseseste Film des Jahres, und ehrlich, so was tut auch mal ganz schön gut.
Georg Seeßlen
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