Langsam füllt sich die „Bibliothek der Alten“. Inzwischen sind 95 Beiträge eingegangen. Zur Wiedereröffnung des „Historischen Museums Frankfurt“ wurde sie trendig in „Bibliothek der Generationen“ umbenannt. Die Autoren und Autorinnen arbeiten aktiv am „Offenen Archiv“, einer Installation der Künstlerin Sigrid Sigurdsson. Erst im Jahr 2105 werden alle 150 Fächer gefüllt sein mit historischen, biografischen Erzählungen, mit Tagebüchern, Briefwechseln, mit Zeichnungen, Protokollen, wissenschaftlichen Beiträgen, Fotos und Filmen, sowie Audio- und Videoaufnahmen. Bezugspunkt ist letztlich immer Frankfurt.
Eine kleine Auswahl der heutigen Autoren: Larissa Babinskaja, Wolfgang Bauer, Elsbeth Braunseis, Giuseppe Bruno, Prof. Dr. phil. Martin Dannecker, Dr. Heinz Düx, Marlies Flesch-Thebesius, Felicitas Gürsching, Melanie Hartlaub, Wolfram Helbich, Irmgard Heydorn, Hadayatullah Hübsch, Petra Kunik, Michael Läpple, Emil Mangelsdorff, Prof. Dr. phil. Walter Rüegg, Nelli Rühlig, Sigrid Sigurdsson, Silvia Tennenbaum, Behjat Mehdizadeh, Asal Khosravi, Simeen Modjaz, Ebrahim Modjaz, Radka Kraslova, Lea Lustykova, Heipe Weiss, Margot Subtil, Renate Schneeweis, Cläre Wesselmann, Willi Merget, Elfriede Maier, Dr. Thomas von Freyberg, Ingeborg Hahn, Renate Lütke, Renate Esser, Dr. Jutta von Freyberg, Wolf von Wolzogen.
https://www.historisches-museum-frankfurt.de/sites/default/files/uploads/bda-autorenliste_170519_0.pdf (Autorinnen und Autoren der Bibliothek der Generationen).
Das Projekt ist generationenübergreifend angelegt in einer Zeitspanne von 105 Jahren (2000 – 2105). Nicht nur alt-eingesessene Frankfurter sind als Autoren angesprochen, auch Zugereiste aus dem In- und Ausland und diejenigen, die aus beruflichen, familiären oder politischen Gründen Frankfurt den Rücken gekehrt haben.
Die Kuratorin der Bibliothek, die Kulturwissenschaftlerin Angela Jannelli sagte in einem Interview, dass in der Regel zweimal im Jahr eine neue Kassette der Öffentlichkeit übergeben wird und weitere Kriterien für die Aufnahme der Autoren und Autorinnen entwickelt werden. Nach der Veröffentlichung können die Autoren weiter schreiben und neues Material in die Kassetten legen. Nur Zurückholen oder Austauschen sei gegen die Spielregeln.
Ziel des Projekts ist es, kommenden Generationen die Möglichkeit zu geben, sich mit den Erinnerungen der Älteren im Rahmen der Frankfurter Geschichte auseinander zu setzen. Früher gab es in Familien Bilder-, Brief- oder Erinnerungskisten. Nach dem Tod der Menschen landeten sie allzu oft im Müll. Hier bleiben sie auf eine besondere Art der Nachwelt erhalten.
Zu den Qualitäten dieser „Bibliothek der Alten“ gehört ein sozialer Zusammenhang zwischen Autoren und Autorinnen. Regelmäßige Lesungen und Treffen binden sie ins Museumsleben ein.
„An jenem Morgen war ich geplättet. Oder total perplex, wie man früher gesagt hätte. Da wohnte ich nun schon ein gutes Dutzend Jahre in dieser Stadt, deren Name ich mir selbst stets mit „Die seichte Stelle am Main“ übersetzte, und hatte noch nie gemerkt oder jedenfalls mit Aufmerksamkeit registriert, dass hier unten am Mainufer, dort, wo zwischen Römer und historischem Museum am Kai die Ausflugsboote vor Anker lagen, ein Schienenstrang entlanglief. Und hier stand nun, an diesem lauen Frühlingsmorgen, in der Sonne unter strahlend blauem Himmel, dieses schwarze Monstrum aus Stahl, und zischte und fauchte und war alles andere als Phantasmagorie.
In der Nacht zuvor nämlich hatte mir geträumt – mir träumt es immer, ich selbst träume so gut wie nie – ich sei vor eben so einer Dampflokomotive gestanden, als Kind, an einem Frühlingsmorgen, und sei dann mit Eltern und Schwester und Koffern eingestiegen in diesen Zug, Abteil suchend, hinsetzend, Koffer auf die Koffernetze packen, umstandskrämerisch wie wir Saarländer nun einmal sind, holte meine Mutter hartgekochte Eier aus irgendeiner Tasche hervor und Salz, und Butterbrot, sorgsam eingewickelt, und gab uns quängelnden Kindern etwas zu essen, damit wir „versorgt“ wären, obwohl wir ja an sich ein Eis hatten haben wollen, am Bahnhof oder Süßigkeiten, von jenem Bahnhofsverkaufswägelchenfahrer, der immerzu „ColalimozigarettenkaugummiszeitUNG-ENN!“ rief, wobei er besonders ZeitUNG-ENN! am Ende so jaulend betonte. Dann war der Zug ruckelnd angefahren, im Traum, und ich hatte fasziniert am Fenster geklebt, auf den Fluss hinausgeschaut, denn ich liebte als Kind Flüsse, aber der Fluss war im Traum auf der anderen Seite, links von der Eisenbahn, und das irritierte mich mehr noch als dieses Déjà-vue eben dieser Eisenbahn, die ich in der Nacht zuvor im Traum gesehen hatte, daß dieser Fluß auf der falschen Seite lag, ansonsten war die Szenerie und die Lok und das Wetter haargenau gleich mit dem Traum, und ich traute meinen Augen nicht: War ich denn als Kind tatsächlich schon mal in Frankfurt am Main gewesen, jedenfalls außerhalb des Kopfbahnhofs? Das konnte doch nicht sein.“
(Aus dem Bibliothek-Beitrag von Heipe Weiss – mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Jeder Interessierte kann die Bibliothek besuchen. Man muss etwas Zeit mitbringen und die Scheu ablegen mit weißen Handschuhen in „persönlichen Museumsunterlagen“ zu stöbern. Neu sind zwei Recherchestationen, an denen die Museumsbesucherinnen und -besucher Inhalte der Bibliothek durchsuchen und für sich nutzbar machen können.
„Die Bibliothek der Generationen wird jeden Dienstagnachmittag von Autorinnen und Autoren ehrenamtlich betreut. Zwischen 14 und 17 Uhr stehen Sie für Fragen zum Projekt oder das Öffnen von Archivkassetten zur Verfügung. Dienstags um 14.30 Uhr findet eine halbstündige Einführung in das Projekt und die Präsentation eines ausgewählten Beitrags statt.“
https://historisches-museum-frankfurt.de/de/frankfurtjetzt#BdG