Für die hochbegabte Maguerite ist die Mathematik der einzige Lebensinhalt. Auf die Frage nach anderen Interessen sagt sie: »Ich gehe gern spazieren, das hilft mir beim Nachdenken.« Mit ihrer Mathe-Leidenschaft hat sie es zu einem Promotionsstudium an der Pariser Elite-Uni École Normale Supérieure geschafft. Als einziges weibliches Wesen in ihrem Fach kämpft sie umso verbissener um die Lösung eines mathematischen Problems. Ein Fehler in ihrem Lösungsansatz wird sie aus der Bahn werfen.
Die Schweizerin Ella Rumpf spielt Maguerite bemerkenswert glaubwürdig. Wie einst den widerspenstigen Frauen in den Screwball Comedies hat man ihr eine Brille auf die Nase gesetzt, um ihre aparte Attraktivität zu verbergen. Mit ihren Pantoffeln schlürft Marguerite durch die Uni, weil sie das bequem findet. Ihre Haare trägt sie vermutlich seit ihrer Kindheit so, und ihr Sweatshirt wurde nur in der Größe angepasst. Kein Wunder, dass die schräge Studentin den Spott ihrer Kommilitonen erntet.
Den ersten Dämpfer erhält sie, als ihr Professor Werner (Jean-Pierre Darroussin, der Partner der Regisseurin ist bekannt aus den Marseille-Filmen von Robert Guédiguian) mitteilt, er habe einen weiteren Doktoranden in seinen Arbeitskreis aufgenommen. Lucas (Julien Frison) komme gerade aus Oxford und arbeite wie sie am Beweis des Goldbach-Theorems. Wir erfahren, dass es sich dabei um die Hypothese handelt, nach der jede gerade Zahl sich durch die Summe zweier Primzahlen darstellen lässt. So viel Mathe soll hier genügen.
Lucas fragt Marguerite, ob sie nicht ihre Ergebnisse austauschen wollen, Marguerite erwidert, das sei nicht ihr Arbeitsstil. Den entscheidenden Schlag erhält sie kurz darauf bei der Präsentation ihrer bisherigen Bemühungen vor den versammelten Wissenschaftlern. Lucas erkennt, dass ein Schritt ihrer Ableitung falsch und deshalb die ganze Arbeit wertlos ist. Darauf verlässt Marguerite nicht nur überstürzt den Saal, sondern auch die Arbeitsgruppe des Professors, der ihr ein anderes Thema bei einem Kollegen vorschlägt, und schließlich auch die Uni.
Das Stipendium ist erst einmal weg. Auf der Suche nach einer neuen Geldquelle fliegt sie aus einem Marktforschungs-Schulungskurs, weil sie den Fragebogen unlogisch findet und die Klappe nicht halten kann. Sie lernt dabei aber die pfiffige Noa ( Sonia Bonny) kennen, die pleite ist und Marguerite für die fällige Mietzahlung ein Zimmer in ihrer Wohnung anbietet. Dass Maguerite ausgerechnet einen Job in der Schuhabteilung eines Modehauses findet, ist eine witzige Drehbuchidee. Noa, die Tänzerin, sorgt für den verspäteten Schritt ins Leben mit abendlichem Ausflug in Clubs und erster sexueller Erfahrung, die in diesem Fall entsprechend kurios verläuft.
Aber die Mathematik läßt Marguerite nicht los. Als sie bei Noas Vermieter, dem Chinesen Kong (Xiaoxing Cheng), dessen Landsleute Mah-Jongg spielen sieht und erfährt, dass es bei diesem Spiel mehr um Mathematik als um Glück geht, wachen bei ihr die entsprechenden Gehirnzellen und die dazugehörigen Emotionen wieder auf.
Unterdessen machen sich ihre Mutter (Clotilde Coureau), der Professor und auch Lucas um sie Sorgen. Jede Person hat ihre eigenen Gründe. Vom Professor erfahren wir, dass auch er eine Niederlage einstecken musste. Lucas will ihre Zustimmung für eine Veröffentlichung und glaubt, er brauche ihre Fähigkeiten für sein großes Ziel, den Goldbach hieb- und stichfest zu beweisen …
Die schwedisch-französische Regisseurin Anna Novlon hat etwas riskiert für ihren dritten Spielfilm. Mathematik ist neben Physik und Chemie das unbeliebteste Schulfach und taucht dementsprechend selten als Thema in Spielfilmen auf. Das aber hat sie gerade gereizt. Ausschlaggebend sei ihre Begegnung mit Ariane Mézard, einer der wenigen großen französischen Mathematikerinnen, gewesen. Mit deren Unterstützung hat sie sich auf den vielen Tafeln, die im Film zu sehen sind, weit von der geläufigen Schulmathematik entfernt.
Das müssen wir Zuschauer ertragen, denn es geht nicht um die für uns unverständliche Mathe, sondern um die Faszination, die von ihr ausgeht. Und um den Gleichklang zweier Seelen, der sich mal in einem Kuss manifestiert und mal in einem Sprint zur nächsten Tafel, wo der gerade gekommene Gedanken mit Kreide festgehalten werden muss. »Die Gleichung ihres Lebens«, origineller »Le théorème de Marguerite« im Original, entwickelt sich zu einer romantischen Komödie mit hintergründigem Humor, wofür unabsichtlich Mathe-Nerd Marguerite sorgt. Sie hat zwischenzeitlich Prof. Werners Satz »Die Mathematik darf nicht unter Gefühlen leiden« umgedreht und schwer unter der Mathematik gelitten. Und da ging es ihr wie vielen von uns.