Und die Jukebox kommentiert
Achtung, dieser Film enthält Kunst! Und das gleich in mehrfacher Weise. Unter anderem in Form geschliffener Dialoge, des Rauschen des Windes, eines Hundes, einer Jukebox und eines herzzereißenden Songs von Nick Cave. Aber der Reihe nach.
Die Anordnung in Wim Wenders’ neuem Film scheint sehr klar, jedenfalls auf den ersten Blick. Da ist das Theaterstück von Peter Handke, »Die schönen Tage von Aranjuez«, in dem ein Mann und eine Frau miteinander sprechen, in einem sommerlichen Garten, nicht unbedingt nach den Regeln des psychologischen Realismus, sondern nach selbst gesetzten, nach literarischen Regeln. Über die Liebe, über das Sehen und anderes. Reda Kateb und Sophie Semin meistern die Aufgabe, vor der Kamera mehr Text als Körper zu sein. Wenders hat zu diesem Theaterstück eine weitere, stumme Rolle gefügt, nämlich einen Schriftsteller (Jens Harzer), der aus seinem Arbeitszimmer heraus die Unterhaltung der beiden im Garten belauscht und daraus einen Text macht. Oder es verhält sich genau umgekehrt, und die Frau und der Mann, die sich da unterhalten, während der Wind (gelegentlich stärker) durch die Bäume fährt, sind die Projektionen seiner schriftstellerischen Phantasie. Wie dem auch sei: Es ist eine ausgesprochen kluge Entscheidung, diese Figur einzuführen, denn durch sie wird unser Interesse verdoppelt. Neben die literarische tritt eine perspektivisch-räumliche Beziehung, oder eben eine filmische.
Zwischen den beiden Figuren, die ihre Dialoge aufeinander folgen lassen wie Tänzer ihre Schritte, und dem Schriftsteller, der sie entweder beobachtet oder erträumt, wie man es nimmt, steht eine Jukebox. Von Zeit zu Zeit geht der Schriftsteller an diese Jukebox und lässt einen Song spielen; jeder von ihnen hat eine besondere Bedeutung, übernimmt sozusagen den Part eines Erzählers. Und natürlich denkt man auch an Peter Handkes frühen »Versuch über die Jukebox«, die ja in der Tat eine fast vergessene Kunst des Musikhörens und des öffentlichen Verhandelns von Musik darstellt.
Mittendrin tritt aber auch Nick Cave ganz persönlich in Erscheinung und singt am Klavier »Into My Arms«. Es ist der dramaturgischen Kunst von Wim Wenders zu verdanken, dass dieser Auftritt nicht den ganzen Film sprengt, sondern eine wohldosierte Spannung erzeugt. Dasselbe gilt übrigens für einen Auftritt von Peter Handke selber, der natürlich nichts anderes als einen Gärtner darstellen kann.
Neben diese kalkulierbaren, komponierten Elemente treten zwei nicht ganz so kontrollierbare, natürliche Unruhe-Elemente. Das eine ist der besagte Hund. Kein wirklicher Störenfried, bewahre. Aber eine Art von Lebendigkeit, die den literarischen Text ins Leben holt. Und das andere ist der Wind. Manchmal wirkt er, als wäre er »bestellt«, um den Dialogen eine gesteigerte Dramatik zu geben, manchmal ist er nur einfach Natur, gegen die sich die Kunst nun mal am besten behauptet, wenn sie mit ihr spielt.
Auch dieser Wenders-Film ist im 3D-Verfahren zu sehen. Natürlich wirft dieser Filmemacher weder mit Felsbrocken nach seinen Zuschauern noch strapaziert er den Schneekugeleffekt. Stattdessen wird Natur als Raumerfahrung deutlich (und dass der Dichter schließlich auch einmal seinen Arbeitsplatz verlassen muss, um in den Wald zu gehen, ist mehr als eine biographische Pointe). Manchmal sieht man im Hintergrund die Stadt (Paris), manchmal verschwindet sie in mildem Spätsommerlicht. Und am Ende findet Wenders eine durch und durch filmische Form für die Zeilen von Friedrich Schiller, auf die sich Handke (in seiner Art, versteht sich) bezieht:
Die schönen Tage in Aranjuez
Sind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit
Verlassen es nicht heiterer. Wir sind
Vergebens hier gewesen.
Das ist kein Film, wie man ihn alle Tage sieht. Man muss ein bisschen achtsamer sein als sonst, vielleicht. Aber man hat in diesem Garten einiges lernen können über die Literatur, das Kino und die Musik. Und wie sie miteinander sprechen können.