»Die Spur« von Anieszka Holland

Jägers Leid, Vegetariers Freud

Nein, sie heißt nicht Doszenko, wie sie immer wieder genannt wird, und mit ihrem Vornamen möchte sie erst recht nicht angesprochen werden. Janina Duszejko ist das, was man eine verschrobene alte Dame nennen könnte und dementsprechend schief angesehen in dem abgelegenen polnischen Tal. Aber die Kinder lieben sie, weil die Aushilfs-Englischlehrerin die Kleinen ernst nimmt.

Die Kinder sind noch unverdorben. Und »gute Menschen werden nur langsam erwachsen. Ihre verlängerte Kindheit geht nahtlos in hohes Alter über. Das liegt am Einfluss des Merkur auf ihr Horoskop. Sie sind aktive, neugierige Einzelgänger«, sagt Duszejko (und Fürst Myschkin lässt aus der Ferne grüßen). Die Regisseurin Anieszka Holland hat mit ihrer Verfilmung des Romans »Der Gesang der Fledermäuse« von Olga Tokarcuk eine Figur in den Mittelpunkt ihres Films »Die Spur« gestellt, die als Vegetarierin und leidenschaftliche Astrologin am Rande der Gemeinschaft lebt. Ihre ganze Zuneigung gilt den Tieren, für deren Überleben sie voller Inbrunst kämpft. Auch auf sie bezieht sich nach Duszejkos Ansicht das Gebot »Du sollst nicht töten«, und wenn eines von ihnen in der Schonzeit geschossen wird, ist das Mord. Da läuft sie schon mal aufs örtliche Polizeirevier, um Anzeige zu erstatten.
Mit feiner Ironie ist der Film in Kapitel unterteilt, eingeleitet von einem Monatsblatt aus dem Jagdkalender, den die Tierschützerin im Polizeirevier hat mitgehen lassen. Zu jedem Monat sind die zur Jagd freigegebenen Tiere verzeichnet, und wenn die Schießerei beginnt, gerät Duszejko in helle Aufregung. Sie nimmt den Kampf gegen die Jäger auf, die sich, langer Tradition folgend, im Recht wähnen.
Natürlich ergreift auch Filmemacherin Holland die Partei der Tiere. Immer wieder Rehe und eine ganze Wildschweinfamilie auf der Flucht zeigt sie in Naturbildern, bei denen das Herz jedes Tierfreundes und vor allem jeder Tierfreundin aufgeht. Vielleicht hat die Verbindung von Naturdoku und feministisch geprägtem Spielfilm dem Werk auch zu dem Alfred-Bauer-Preis der letzten Berlinale verholfen, den ja ein Film, der »neue Perspektiven der Filmkunst aufzeigt«, erhalten soll. (Man kann, nebenbei bemerkt, auch eine Parallele zu den Hirsch-Träumen in Ildikó Enyedis Goldenem-Bär-Gewinner »Körper und Seele« ziehen.)
Nun ist aber »Die Spur« auch ein Krimi mit einer vorantreibenden Spannungsmusik von Antoni Lazarkiewicz. Er beginnt damit, dass die beiden Hunde der Tierschützerin verschwunden sind. Vermutlich sind erschossen worden, denn »streunende Hunde« sind zum Abschuss freigegeben. Schließlich könnten sie auch anderen Tierem gefährlich werden, heißt es. Auch der Pfarrer verteidigt die Jagd als Naturpflege und ermahnt die Duszejko, ihr Tierfriedhof und die Liebe zu ihren Hündinnen, die sie wie eigene Töchter liebt, sei Sünde. Schließlich habe Gott den Menschen über das seelenlose Tier gestellt. Eine Großaufnahme sieht man seinen Mund, wie in den russischen Revolutionsfilmen die Münder der verhassten Autoritäten des Zarenreichs gezeigt wurden. Den wohlfeilen antikirchlichen Affekt konnte sich Anieszka Holland nicht verkneifen.
Auf der einen Seite die gefühllosen Männer, die Tiere töten und ihre Frauen schlecht behandeln und dabei auch noch den kirchlichen Segen bekommen, auf der anderen Seite die leidenden Frauen. Eine Schwäche des Films ist seine Schwarz-weiß-Malerei, die wohlwollend als notwendiger Bestandteil eines feministischen Märchens angesehen werden kann. Allerdings ist Holland gewitzt genug, drei positive Männer einzuführen: einen naiven junger Mann, der von epileptischen Anfällen geplagt wird, einen Nachbarn, der langsam seine sensible Seite offenbart, und einen Käferforscher, der mit Forscherdrang und Naturkenntnis  die Duszejko noch in den Schatten stellt.
Doch die meisten Männer sind Unholde, und im Verlauf enden sie einer nach dem anderen als blutige Leichen im Wald. Bei einem finden sich sogar Hirschspuren. Wer ist der Serienmörder? Es könnten die Tiere sich an ihren Peinigern gerächt haben, gibt die Tierschützerin dem Staatsanwalt zu bedenken. Sie wird großartig von Agnieszka Mandat verkörpert, die in Polen durch zahlreiche Auftritte in Fernsehserien bekannt geworden ist. Sie macht diese manchmal etwas überzogene Figur glaubwürdig und den Film auch für männliche Zuschauer sehenswert.

Claus Wecker (Foto: © filmkinotext)
DIE SPUR (Pokot)
von Agnieszka Holland, PL/D/CZ/S/SK 2017, 128 Min.
mit Agnieszka Mandat, Wiktor Zborowski, Miroslav Krobot, Jakub Gierszal, Patricia Volny, Borys Szyc
von Olga Tokarczuk
Öko-Thriller
Start: 04.01.2018

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