»Dogman« von Matteo Garrone

Italien kann sehr kalt sein. Das meint nicht nur diese äußere Kälte von Regen, Wind und Dunkelheit, die in den Bildern von »Dogman« vorherrschend ist. Es meint auch eine innere Kälte, die Kälte von Verlassenheit und Ohnmacht, in einer Welt, in der die großen Ordnungsmächte des Landes, der Staat, die Kirche, die Kommunistische Partei, die Familie, die Freundschaft, sich immer weiter in einem schmutzig-blutigen Brei von Ökonomie, Verbrechen und Gewalt auflösen.

In einem Städtchen am Meer, außerhalb der Badesaison, aber auch ansonsten einigermaßen heruntergekommen, lebt Marcello. Er ist der Dogman, das heißt: er kümmert sich um Hunde, frisiert sie, nimmt sie in Pflege, dressiert sie, soweit das möglich ist. Marcello mag die Hunde, jedenfalls mehr als die meisten Menschen. Nebenbei vertickt er Drogen, in kleinen Mengen, als das letzte Glied in der Kette vor den Endabnehmern. Seine Frau lebt von ihm getrennt, sein einziger Lichtblick ist seine kleine Tochter Alida. Glücklich ist Marcello in den Augenblicken, wenn er mit ihr tauchen kann und sie beide nach dem Tauchgang Arm in Arm auf dem Boot sitzen und aufs Meer schauen.
In Matteo Garrones Film wird Marcellos endgültiger Höllensturz geschildert. Eine ohnehin schon reichlich armselige Existenz wird bis auf den Grund zerstört. Wer hat daran Schuld?
Vielleicht Marcello selbst, der nie nein sagen kann, auch wenn er es immer wieder einmal versucht, nicht nein zu den Drogendeals, nicht nein zur Beihilfe zu Einbrüchen, nicht nein zu den schnellen Vergnügungen einer wilden Nacht und schließlich nicht nein zu einem verhängnisvollen Coup gegen seinen Nachbarn, der eines dieser Compro-Oro-Geschäfte führt, die im Italien der Krisen überall entstanden sind und in denen die in Not geratenen Menschen alles verkaufen, was einen Goldanteil hat.
Vielleicht ist auch Simone schuld, ein gewalttätiger, skrupelloser und unberechenbarer Krimineller, der den Häuserblock rund um den verlassenen Strand terrorisiert. Immer wieder bringt er Marcello in die Klemme, macht ihn zum Komplizen, betrügt ihn um den Lohn, schüchtert ihn ein. Simone ist Marcellos schlimmster Feind und zugleich auch sein einziger Freund. Für ihn muss Marcello schließlich sogar ins Gefängnis gehen. Aus Freundschaft, aus Berechnung oder aus Angst? Auch Marcello selbst wüsste es nicht genau zu sagen.
Vielleicht ist die Gemeinschaft des Ortes schuld, die sich gegen Simones Terror nicht zur Wehr setzen kann. Mit legalen Mitteln sowieso nicht. Aber auch der Versuch, sich dieser Nemesis zu entledigen, indem man Leuten, die Leute kennen, die wiederum Leute kennen einen entsprechenden Auftrag gibt, geht gründlich schief.
Als Marcello nach einem Jahr aus dem Gefängnis kommt, ist alles nur noch schlimmer geworden, noch kälter, windiger und regnerischer ist es obendrein. Die Nachbarn haben sich von ihm abgewandt, nicht einmal mehr Fußball mit ihnen spielen kann er, und in der Bar mit den Spielautomaten will ihn auch keiner mehr sehen. Und Simone verweigert ihm lachend den versprochenen Anteil an der Beute. Als Marcello sich endlich zur Wehr setzt, wird die Gewalt, die in diesem Film ohnehin an allen Ecken und Enden lauert, nahezu unerträglich. Und das Ende? Einer wie Marcello kann in einer Welt wie dieser nicht wirklich gewinnen, auch wenn es vielleicht einen Augenblick so ausgesehen hat.
Manchmal legt sich eine melancholische Edward Hopper-Stimmung über den nächtlichen Ort, manchmal erscheinen die maroden Mauern der nur noch teilweise genutzten Häuser, der verlassene Kinderspielplatz und Marcellos lichtarmer Hundezwinger wie Metaphern des Zustandes dieser Gesellschaft. Wir sind sehr nahe dran an diesem Dogman und seinem Hundeleben, der vielleicht wirklich alles andere als ein unschuldiges Opfer ist, aber eben auch alles andere als ein Unmensch. Einer, der es den Simones dieser Welt so leicht macht.
Marcello Fonte ist wirklich brillant in dieser Rolle. In diesem verzweifelten Versuch nicht unterzugehen, im kleinen Glück und der großen Angst, in der Unfähigkeit, einen Ausweg zu finden, vielleicht auch nur zu begreifen, was da mit ihm geschieht.
»Dogman« ist ein ziemlich harter Film, aber auch ein sehr wahrhaftiger und trotz allem ein sehr menschlicher. Ein Meisterstück jenes neuen italienischen Kinos, das sich weigert, die Augen zu schließen vor der Realität dieses Landes und unserer Welt.

Georg Seeßlen (Foto: © AlamodeFilm)
DOGMAN
von Matteo Garrone, I/F 2018, 102 Min.
mit Marcello Fonte, Edoardo Pesce,
Adamo Dionisi, Nunzia Schiano
Drama
Start: 18.10.2018

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