Dramatische Bühne blickt mit »Jedermann/every wo-man 2050« in eine düstere Zukunft

Wir sind nicht in Salzburg und schon gar nicht auf der Treppe zum Dom, sondern in der Exzesshalle bei der Dramatischen Bühne in Bockenheim. Folglich hat hier nicht der Text von Hugo von Hofmannsthal das Sagen, wenn es um »Jedermann« geht, sondern das, was Thorsten Morawietz, Prinzipal, Regisseur und Autor der Theatergruppe, aus dem mittelalterlichen Mysterienspiel um das »Sterben des reichen Mannes« macht. Das fängt schon beim Titel »Every wo-man 2050« an, der das Stück in die coronale Zukunft versetzt, und sich mit dem Subtitel »Vom Sterben des alten weißen Mannes« auf die Genderhöhe der Endzeit verortet.
Dass es einen Gott gibt, daran lässt freilich auch Morawietz nicht rütteln. Christoph Maasch spielt den alten weißen Mann in wallendem Linnen. Ist es Gott, der sterben muss? Maasch gibt ihn etwas durcheinander, seiner selbst, aber auch seines Werkes nicht mehr sicher. Vergebens hat er seine ungezogene Schöpfung mit Sintflut und Pest bestraft. Vom Teufel consultet, versucht er es nun mit einer Seuche. Mit dem endlichen Ergebnis – Vorsicht Spoiler –, dass der Mensch sich auch daran gewöhnt.
Am barocken Kleidungskanon der Dramatischen Bühne ändert auch die Zukunft nicht viel. Jedenfalls trägt der mal um mal um die Lebensverlängerung bettelnde Jedermann (Thorsten Morawietz) noch Kniebund und ein golddurchwirkten Wams, und der mit ihm verhandelnde Tod (Simone Greiß) geht kahl in flatterndem Schwarz. Der Rest aber kommt cross-aged und cross-minded daher auf der coronalen Welt. Keine noch so absurde Position der aktuellen Pandemiediskussion wird unterschlagen und auf die Zukunft projiziert. Sarah Kortmann denkt dabei quer in allen Richtungen und weiß nach der Vorstellung gewiss nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, während Marlene Zimmers Buhlschaft die frechlippige Agnostikerin gibt.
Mit der Endzeit verschafft sich auch die postdramatische Technik in der Dramatischen Bühne Raum. Auf fünf wo-mans-hohen Screens mit verzierten Rahmen im Bühnenhalbrund melden sich von Schirm zu Schirm wechselnd die Darsteller. Das ist großartig gemacht und dient zugleich dazu, einen starken Schuss Big Brother und Schöne Neue Welt im Genremix aufzunehmen. »Einsamkeit ist Freiheit. Abstand ist Liebe« ist eine wiederkehrende Losung, die einen so schnell nicht loslässt. Auch wenn kein wirklich roter Faden zu erkennen ist in dieser pausenlosen Inszenierung, so doch ein schwarzer. So ernst wie dieses Mal ging es bei der Dramatischen Bühne selten zu. Am 6. November wird im Anschluss an die Vorstellung sogar diskutiert.

gt

Termine: 4., 5., 6. November, 20 Uhr
www.diedramatischebuehne.de

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