Dichtung und Prosa
Wir schreiben den 22. März 1832, und Johann Wolfgang von Goethe geht es gar nicht gut. Bei ihrem Freilichtfestival im Frankfurter Grüneburgpark lässt die Dramatische Bühne den deutschen Dichterfürsten am letzten seiner Tage, er ist 83, noch einmal darüber räsonieren, wie alles angefangen hat. Über die Entstehung und die Hintergründe des Werkes, das seinen Ruhm begründen sollte: »Die Leiden des jungen Werther«.
Was haben die so empfindsamen Menschen damals mit ihm gelitten! Was haben sie mit ihm gefühlt und geliebt – und geweint um Charlotte. Manche folgten Werther sogar in den Tod. Dass die Geschichte auf einer wahren Begegnung Goethes beruht – beruhen muss! – wird keinen, der um ihre Tiefe weiß, überraschen. Nicht ganz so vertraut dürfte dem Publikum aber sein, dass sich das Ganze – nach Recherche der Dramatische Bühne – sehr viel anders zugetragen hat, als es im Buche steht. Nicht nur Charlotte war weit entfernt davon, das zarte und einfühlsame Wesen zu sein, das uns von Goethe beschrieben wird. Für den Schluss seines Plots hatte der Dichter noch einige rivalisierende Lösungen parat, die aber alle nicht so recht zündeten. Welche, das verraten wir hier nicht. Nur dies vielleicht noch: dass Goethe den Rückblick mit Faust und Mephisto begeht, den beiden, ach so zänkischen Seelen in seiner Brust, und dabei tief im Zitatenschatz seines Gesamtwerks wühlt.
Herausgekommen ist eine der ansprechendsten Produktionen des Ensembles der jüngeren Zeit. Im bewährten Reim von Thorsten Morawietz, wie immer in farbenprächtigen Kostümen. Thorsten Morawietz, von dem die Texte stammen, gibt den moderierenden alten Goethe mit einer zeitweiligen Strenge, die durch alle Altersgüte und -weisheit erkennen lässt, dass die Mitwelt ihn wohl auch für ein ziemliches arrogantes Arschloch gehalten hat. Wie sich Letzteres schon im Schnöseltum des jungen Jay-Dubbelyou gründet, den Julius König mit allen Facetten spielt, wird in seinen Begegnungen mit Marlenes Zimmer herrlich prosaischer Charlotte offenbar. Eine tolle Idee: Zum stilvollen Reimen ist die junge Frau aus Wetzlar-Land einfach nicht gemacht, zu Anderem schon. Sebastian Huther führt ihren Gatten Albert auf des Pudels Kern und gibt noch den mit Mephisto (Julius König) disputierenden Faust. Gespannt darf man sein, wie dieses glücklich besetzte Kammerspiel im Freien wirkt.