Doppelt gemoppelt
Zwei Seelen, ach, in einer Brust? Bei der Dramatischen Bühne ist das ja wohl das Mindeste. Denn es gibt ja auch noch den Schein und das Sein, das Innen und das Außen, das Hinten und das Vorn, die Rolle und das wirkliche Leben. Die von den großen Bühnenklassikern inspirierten Stücke der Bockenheimer Theatergruppe fokussieren von jeher die innere Zerrissenheit ihrer Figuren und legen sie – zum hohen Vergnügen des Publikums – gnadenlos bloß. Thorsten Morawietz, Kopf, Regisseur und Autor des Ensembles, hat diesen Zugriff in seinen Textbearbeitungen zu einer Marke gemacht und erfindet die Dramatische Bühne auf diesem Wege immer wieder neu.
Das geschieht auch bei seinem neusten Stück, William Shakespeares »Othello«, mit dem er im vertrauten Duktus neue Wege beschreitet. Denn nicht nur die Gemüter des dramatischen Personals um Othello, Desdemona & Co. werden hier nach allen Regeln der Reimkunst seziert, sondern auch die sämtlicher sie verkörpernden Schauspieler bis hin zu den Nebendarstellern.
Durch einen Kunstgriff, der freilich erfordert, dass das Ensemble zwei Vorstellungen hintereinander absolviert, erlebt die eine Hälfte der Besucher zunächst das erwartete Bühnenstück und die andere Hälfte im Backstage die Akteure während der Aufführung. In der Pause werden die Positionen getauscht und das Spiel beginnt mit manchem Aha-Effekt von vorne, erklärt sich doch erst hinter der Bühne, wieso etwa Jago (Christoph Maasch) ganz gegen die Shakespeare-Vorlage versucht, Othello (Julian König) nach der Tötung Desdemonas (Simone Greiß) vom Selbstmord mit dem Dolch abzuhalten.
In der Tat verrückt die doppelt gemoppelte Inszenierung auch den Schwerpunkt weg vom klassischen Sujet hin zum Theatertheater in der Machart von Michael Frayns Boulevardkomödie »Der nackte Wahnsinn« . Auf der bis unter die Decke mit Requisiten vollgepfropften Hinterbühne erleben wir Szene für Szene die verzweifelten Versuche eines wortgewaltigen Regisseurs (Maasch), seine Protagonisten zur Höchstleistung zu treiben, bevor er sie auf die Bretter schickt. Wir werden auch Zeugen von Neid und Eifersucht, Liebe und Hass, Koketterie und Intrigen, von grenzenlosem Narzissmus und tiefsten Selbstzweifeln, von klassenkämpferischen Drohungen der Statisterie mit künstlerischem Bummelstreik und den balsamgleichen Seelentröstungen in der Maske (Susanne Adel). Die janusköpfigen Charaktere spiegeln sich auch in den Kopfbedeckungen und den hälftig in Schwarz und Weiß geschminkten Gesichtern wieder, was der Grund dafür sein dürfte, dass in dem ganzen Bohei die obligate Othello-Debatte um Blackfacing gar nicht erst aufgegriffen wird.
Die vor allem sprachlich überfrotzelte Highspeed-Posse auf der Hinterbühne, wo sich »ambivalente Ambivalenzen« und »dekadente Dekadenzen« nur so überschlagen, bleibt akustisch nicht ganz folgenlos für das tragödiale Frontspektakel. Der Bildungsbürger wartet zwar vergeblich auf Desdemonas Tüchlein und auf Othellos infame Frage an die Geliebte, ob sie denn auch zur Nacht gebetet habe, findet seine Kennerschaft aber durch eine zum Abstrakten neigende leere Bühne mit Thalheimer-Touch belohnt. Zwischen wie antike Säulen zur Decke gestreckten bunten Tüchern gehört diese ganz den Darstellern und dem Wort.