Wie die architektonische Moderne nach Frankfurt kam
Von der U-Bahnstation Nordweststadt fahren wir eine Station mit dem 60er Bus in Richtung Rödelheim, biegen auf der gegenüberliegenden Seite in die Mithrastraße ein und laufen bis zum May-Haus im Burgfeld 136. Autofahrer sollten auf der Straße »In der Römerstadt« parken.
Die 2003 von Architekten und Kunsthistorikern gegründete ernst-may-gesellschaft e. v. macht hier das Werk des Stadtplaners und Architekten Ernst May in der Siedlung Römerstadt in einem Musterhaus erfahrbar.
Nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanische-Grippe-Epidemie (1918–1920) mit Millionen von Toten entsteht in Europa eine neue Lebensauffassung. »Licht, Sonne, Glück und seinen eigenen Körper genießen« ist jetzt das vorherrschende Motto. »Neu« wird zum Wort des Jahrzehnts – Das Neue Frankfurt, die Neue Stadt, Neues Bauen, Neue Musik und Kunst. Sogar der »Neue Mensch« als Hoffnungsträger der Zukunft wird wieder aktuell.
Der Taylorismus mit seiner Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen, hält nun Einzug in die Baubranche. Das arbeitsvorbereitende Management der einzelnen Gewerke wird zur Basis von rationalisierten und standardisierten Bauprojekten.
In den frühen 20er Jahren herrscht in Frankfurt eine dramatische Wohnungsnot, die besonders die arbeitende Bevölkerung trift. Unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann wird daher ein öffentliches Bauprogramm für 15.000 neue Wohnungen verabschiedet, mit der Maßgabe, mehr Menschen ein sauberes, gesundes und bezahlbares Wohnen zu ermöglichen.
1925 wird der Architekt Ernst May zum Stadtbaurat in Frankfurt berufen. Mit einem Stab von 40 Architekten und zahlreichen Designern sucht May nach neuen Wohn- und Siedlungskonzepten. Um bezahlbaren Wohnraum schnell schaffen zu können, entwickelt die städtische Abteilung »Typisierung« Bauplatten aus Bims und Kies, die zum ersten Mal in der Siedlung Praunheim erfolgreich erprobt werden. Die Plattenbauweise hält Einzug in Deutschland.
»Mays Dezernat baute von 1925 bis 1930 mehr als 12.000 Wohnungen und Häuser – und zwar allesamt als Gartenstädte im Grünen an das Frankfurter Zentrum angebunden, jede Wohnung mit Bad, Küche und fließendem Wasser ausgestattet, wobei außerdem die Siedlung Römerstadt die erste voll elektrifizierte Siedlung in Deutschland war.«
(Angela Pfotenhauer – monumente-online.de)
An der Rückseite der Häuser entstanden die vom Gartenarchitekten Leberecht Migge konzipierten Gärten mit ein paar Beerensträuchern, einem Obstbaum, sowie Gemüse- und Blumenbeeten. Zur Eigenversorgung mit Gemüse konnte der Ertrag aus dem eigenen Garten jedoch nicht ausreichen.
Die Gärten bieten die Gelegenheit zu sozialen Kontakten, ebenso wie die Gemeinschaftshäuser und die Vereinslokale. Eine Dreizimmerwohnung von 50-60 m² in den Siedlungen ist für eine fünfköpfige Familie, die vorher in einer Einzimmerwohnung gehaust hat, der Anfang einer menschenwürdigen Existenz.
Die Siedlungen und Bauten des Neuen Frankfurt zählen heute zu den wichtigsten bauhistorischen Ereignissen der Weimarer Zeit.
Die Frankfurter Küche ist die Bezeichnung für einen etwa ca. 6 m² großen Raum mit eingebauten Schränken und installierten Geräten. Sie gilt als Berühmtheit, weil sie in hoher Stückzahl nach dem Vorbild der Eisenbahnküche entstand. Die 1927 dreißigjährige Architektin Margarete Schütte-Lihotzky entwarf eine kompakte Küche, in der alles mit einem Handgriff erreichbar war. Sie gilt als Urtyp der modernen Einbauküche.
Wir drängen uns mit etlichen Besuchern am Wochende durch die Räume bis zum Keller und nehmen uns fest vor, an einem Wochentag zu kommen und dieses kleine Museum einmal in Ruhe genießen zu können, denn es gibt viele Kleinigkeiten zu entdecken.
Zum Beispiel einen kombinierten Elektro-Kohleherd mit drei Elektroplatten und einem Backofen mit Ober- und Unterhitze, die hölzerne Arbeitsplatte unter dem Küchenfenster, das großzügige Wohnzimmer mit Zugang zum Garten und einem Wohnzimmerschrank mit originalem Geschirr und modernen Lampen. Im Obergeschoss befinden sich ein Elternschlafzimmer mit direkter Verbindung zum Bad mit Tageslicht, ein angrenzendes Kinderzimmer, und eine Schlafkammer. Das dunkelblaue Treppengeländer im 1. Stock ist herausnehmbar für Möbeltransporte, und die Waschküche hat einen direkten Zugang zum Garten. Der warme Linoleumfußboden und das gesamte Farbkonzept des Hauses sind beeindruckend. Wir kommen wieder.