Im Ausnahmezustand
Im Gegensatz zur christlichen Kultur, wo Beerdigung und anschließender Leichenschmaus in nahegelegener Gaststätte innerhalb weniger Stunden absolviert werden, sieht das jüdische Trauerritual eine siebentägige Shiva vor, während der Verwandte und Freunde den Hinterbliebenen in deren Haus zur Seite stehen. Asaph Polonskys »Ein Tag wie kein anderer« setzt am letzten Tag der Shiva ein.
Eyal (Shai Avivi) und Vicky (Evgenia Dodina) haben ihren Sohn beerdigt, der nach langer schwerer Krankheit in jungen Jahren gestorben ist. Die beiden scheinen erleichtert, als die Gäste nach einer Woche wieder gehen. Eyal bleibt im Sessel sitzen, als sie sich verabschieden, und die Kamera macht sich auch nicht die Mühe, die Gesichter der Besucher in den Bildausschnitt zu rücken. Die Essensreste landen in einen Müllsack. Der Tisch wird an seinen alten Platz gerückt. Die Nachbarn, die mit einer Salatschüssel einen Tag zu spät heranrücken, werden schnell wieder hinauskomplimentiert. Die Eltern des Verstorbenen hatten sich vorgenommen, so schnell wie möglich wieder in den Alltag zurückzukehren. Aber während Vicky sich abends die Haare nachfärbt und am Morgen zur Arbeit aufbricht, dreht Eyal an der Bordsteinkante um und geht zurück ins Haus. Er verweigert sich der Routine, deren heilende Kräfte in solchen Situationen oft beschworen werden. Er fährt ins Hospiz auf der Suche nach der bunt gemusterten Decke seines Sohnes und kehrt mit einem Päckchen medizinischem Marihuana zurück. Alle laienhaften Versuche einen Joint zu drehen scheitern kläglich. Deshalb holt sich Eyal fachkundige Hilfe beim Sohn des Nachbarn Zooler (Tomer Kapon) ein, der in Kindertagen mit dem Verstorbenen befreundet war.
Der Mittzwanziger schlägt sich als Sushi-Lieferant durch, wohnt bei seinen Eltern und scheint sich mit dem Erwachsenendasein noch wenig vertraut gemacht zu haben. Für Eyal ist ein Bruder Leichtfuß wie Zooler genau die richtige Medizin. Unter regelmäßiger THC-Zufuhr hängen die beiden Männer miteinander ab. Während Eyal sich in äußerlichem Stoizismus übt, turnt Zooler in einer grotesken Performance durch das Haus und trainiert seine Fähigkeiten für einen Luftgitarren-Wettbewerb.
Direkt daneben gibt es in Polonskys an Stimmungswechseln reicher Komödie kurze Szenen zärtlicher Besinnlichkeit. Wenn Zooler im Bett des verstorbenen Sohnes einschläft, sich zunächst Eyal und später auch Vicky in embryonaler Schlafposition daneben legen, ist as eine der wenigen Szenen, in denen das Paar im Verlustschmerz vereint ist. Die »Vermischung des Traumatischen mit dem Absurden« hat sich der israelische Regisseur für seine zweite Regiearbeit ins Programm geschrieben, und das Vorhaben birgt die Gefahr, dass so manche Humoreinlage auf der Leinwand verpufft. Aber auch das scheint zur Lebenssituation des hilflos Trauernden zu passen, der sich gegenüber seinen Mitmenschen ständig im Ton vergreift, dann in sich zusammen fällt, um sich wenig später mit plötzlicher Aggression wieder aufzurichten. »Ein Tag wie kein anderer« begreift den Prozess des Trauerns als emotionalen Ausnahmezustand, in dem die Betroffenen wie eine Flipperkugel durch den Raum schießen, der einmal ihr Leben war. Damit kommt der Film der Essenz des traumatischen Verlustgefühles wahrscheinlich näher, als es eine konsequent tragische Herangehensweise vermag.
Martin Schwickert
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