»Einfach grün – Greening in the City«, eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum

Blicken wir hier in die Zukunft?
Das ist durchaus möglich.
Und die könnte man überwältigend witzig finden, wenn das alles nicht so ernst wäre: Das Deutsche Architekturmuseum präsentiert in seiner Ausstellung »Einfach grün« grüne Städtebaukonzepte sowie nachhaltige Architektur, die mit pflanzlichen Elementen eine Symbiose eingeht, Gebäude also, die entworfen wurden, um das Klima nachdrücklich zu verbessern und eine fast verloren gegangene Tier- Insektenwelt zu reanimieren.
Die im Erdgeschoss des Museums auf Fotokarton präsentierten Häuser sehen so aus, als hätten Pippi Langstrumpf und Greta Thunberg sie gemeinsam ausgeheckt. Einfach phantastisch. Da gibt es Architektur, aus denen Laubkronen hervorquellen, Häuser mit Palmentuffs als Krone, Häuser mit Bambushainen vor den Wohnungstüren, Laubengänge, die tatsächlich Laubengänge sind, übermannsgroße Blumenkübel, die in Fassaden integriert sind und sich wie Pilaster und Karyatiden über Stockwerke ziehen, bewegliche Wände aus Pflanzengirlanden, Ponyfransen aus Lianen – dem Phantasiefundus scheinen keine Grenzen gesetzt. Grünpuschels Sieg über nackte Klimakiller- Mauern, begrünte Stadtarchitektur als Medizin gegen die Klimaüberhitzung. Da das Thema so ernst ist, hat es eine sehr gut begründete Zukunft.
Für Jugendliche sind der Klimawandel und der Verlust ihrer Welt an die hausgemachten Wetterkatastrophen offenbar ein essentielleres Problem als die aktuelle Coronakrise, hat jüngst eine Untersuchung herausgefunden. Wenn Architektur und Städtebau strukturelle und nachhaltige Lösungen zur Besänftigung der Klimakrise vorlegen können, ist da schon mal viel gewonnen für die Urbanität der (ihrer) Lebensperspektive.
Wie sich die Begrünung der Städte und einzelner Gebäude tatsächlich auf das Klima auswirkt, untersucht diese – auch angesichts der Coronapandemie – hochaktuelle Ausstellung. Wie also heilt man die durch Überwärmung und Luftverschmutzung gezeichneten Städte? Wie erhöht man ihren Erholungswert? Wie balanciert man Bauflächen mit Grünflächen aus?
Dach- und Fassadenbegrünung spielen dabei eine entscheidende Rolle: Klimaschutz durch isolierende Pflanzwände im Winter und im Sommer, wasserspeichernde Effekte durch Dachbegrünung z.B. helfen enorm, Temperaturen auszugleichen bzw. zu senken. Und Beispiele gibt es genug. Da ist das »Oasis« Hochhaus im Chinatown von Singapur, derzeit noch ein halb roter Stein-Turm, der ganz allmählich von wucherndem Grün überzogen sein wird. Mit dem Ergebnis, dass die Außentemperatur der Wandfläche 25 Grad misst und die des benachbarten nicht begrünten Towers 55 Grad – der eine Turm kühlt die Luft, der andere heizt sie auf. Überhaupt darf Singapur als beispielhaft gelten: ein Neubau muss 100 Prozent seiner Fläche in eine Grünfläche investieren (landschaftlicher Rückgewinn der bebauten Fläche) sonst wird keine Baugenehmigung erteilt. Im für Deutschland beispielhaften Stuttgart sind es 30 Prozent.
Eine Win-win-Situation ergibt sich aus einer Mauerbepflanzung von Parkhäusern, wie ein Beispiel aus Tübingen zeigt. Die Pflanzen filtern das Kohlendioxid aus der Luft, das sie zum Leben brauchen. Diese Erkenntnis wurde schon in vielen Hausentwürfen integriert, als deren Basis begrünte Mauern im Erdgeschoss ein Parkdeck verbergen.
Stilprägend für Südeuropa sind die »Bosco Verticale« in Mailand, zwei hoch aufragende Zwillingstürme mit einem puscheligen Schmuck aus Bäumen, die mit ihren üppigen Kronen aus den Balkonen zu kippen scheinen und den Jahreszeiten unterliegen, d.h. im Winter sind sie auch entlaubt, die Fassade lebt sozusagen. Von innen sieht es toll aus, gerade so, als säße man im Wald. Von außen auch! Sehr witzig auch die Krone aus echten Bäumen auf einem Renaissanceturm aus dem 14. Jahrhundert in Lucca oder das Baumhaus des Architekten Ot Hoffmann in Darmstadt. Und schon Johann Wolfgang von Goethe darf als grüner Pionier gelten: der Spalierbewuchs seines Weimarer Hauses geht auf seine Initiative zurück.
Jedes ausgestellte Foto ist mit einer Art Steckbrief ausgestattet, der über Lage, Gebäudemerkmale und Klimabilanzen Auskunft gibt, und die sind sehr erfreulich.
Architekten reagieren eher verhalten darauf, Natur in ihre Entwürfe zu integrieren, sagt der Leiter des Museums Peter Cachola Schmal, sie wollten mit ihren Fassaden Ordnung schaffen, doch Natur wuchert einfach wild drauf los, wenn man sie lässt, sie ist ja nicht beherrschbar. In diesem Kontext sind zwei Fotos nebeneinander platziert: die schrulligen Untergrassteppenhäuser auf Island neben den wie manikürt wirkenden Flächen des Einkaufszentrums Kö-Bogen II in Düsseldorf, die der Architekt Martin Reuter als »Reaktion auf die städtebauliche Situation und unsere Antwort auf zeitgemäßes Bauen« definiert und nicht als »Nichtarchitektur«.
Die Ausstellung im DAM ist so konzipiert, dass sie neben aller Gelehrsamkeit mitwächst und gedeiht, und das ist besonders vergnüglich. In zehn Nischen an der Rückwand keimt und grünt es unkontrolliert, und so ist beispielsweise ein Ableger eines im Liebieggarten beheimateten Trompetenbaums in den Garten des Architekturmuseums »gewandert« und tobt sich nun dort aus.
Genauso gut gemacht wie die Ausstellung präsentiert sich der Katalog, in dem er alle möglichen Fragen zu grüner Stadtarchitektur aufwirft und gleichzeitig beantwortet – und er zeigt ein wahres Füllhorn an Ideen auf. Die Frankfurter Grünen könnten sich im Museum ja mal ein paar Anregungen holen, wie man die Stadt grüner konzipiert. Es sollte nicht bei Privatinitiativen von Dachgartenbegrünern bleiben. Hier ist die gerade frisch gewählte Politik gefragt. Und zwar schnell und effektiv.

Susanne Asal
Bis zum 11.7., am einfachsten mit Zeitfensterbuchung online,
Verweildauer bis zu 2 Std.
Di., 12–18 Uhr; Mi.–Fr., 12–20 Uhr; Sa.& So., 10–18 Uhr.
www.dam-online.de

 

 

Foto oben: Chambre de Commerce, Chartier+Corbasson, © Chartier+Corbasson
Foto links: Ökohaus Frankfurt, Eble Sambeth/Looidl Wilkes, © Moritz Bernoully

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