English Theatre: Blutiges Spiel im Sondheim-Musical »Sweeney Todd. The Demon Barber of Fleet Street«

Willkommen im slaughter house. Oder genauer: in der splash zone: Für unvorbereitete Besucher des jährlichen Saisonhöhepunkts am English Theatre Frankfurt könnte es durchaus shocking werden, sollten sie sich für einen der privilegierten blood seats auf der Bühne entscheiden, die es dieses Mal gibt. Nicht nur, weil sie dort hautnah Zeugen eines Gemetzels werden, wie es das noch nie im English Theatre zu sehen gab. Sie liefen auch Gefahr, ihre Garderobe zu ruinieren, baute man im größten englischsprachigen Theater des Kontinents nicht mit einem Schutzumhang vor. Psychisch freilich gehen sie – wie sonst bei tiefschwarzen britischen Sujets? – ins Eigenrisiko. »Sweeney Todd« ist, davor schützen die Musik von Stephen Sondheim und auch der Gesang nicht, eine blutige Angelegenheit.
Jedenfalls ist der Flirt mit dem Wahnsinn, dem sich das English Theatre Frankfurt in dieser Saison verschrieben hat, vor diesem Hintergrund eine schöngefärbte Formulierung. Das 1973 von dem britischen Dramatiker Christopher Bond nach Gruselgroschenromanen aus dem viktorianischen England verfasste Schauspiel folgt einem Mann, der für erlittenes Unrecht bittere Rache nimmt an der Gesellschaft. Dass diesem der politische Impetus eines Michael Kohlhaas fehlt, macht der Barbier indes durch die Mordlust wett, die er bei seiner Mission entwickelt. Schließlich hatte der korrupte Richter Turpin ihm, als er noch als Sebastian Barker das Friseurhandwerk betrieb, ein Verbrechen angehängt und ihn in ein australisches Straflager verbannt, um an seine hübsche Frau zu kommen. 15 Jahre danach kehrt er unter dem neuen Namen Sweeney Todd zurück und richtet sich im Haus der geldgierigen Café-Betreiberin Mrs. Lovett als Barbier ein. Von ihr, die seine Vertraute wird, muss er hören, dass seine Frau sich mit Arsen vergiftet habe. Und mit ihr vollzieht er nun Rache. Wie aber seine Rache das Geschäft mit den Fleischpastetchen Mrs Lovetts stimuliert, mag sich jeder ausmalen. Aber kann es so schrecklich sein, wenn man dazu singt?
Stephen Sondheims Musical wurde 1979 am Broadway uraufgeführt, mit gleich acht Golden Globes ausgezeichnet und 2009 mit Johnny Depp mehr als erfolgreich verfilmt. Gespielt wird das operettenhaft durchkomponierte und nicht nur musikalisch überraschend anspruchsvolle Werk in der Regel in großen Häusern. In Frankfurt inszeniert Derek Anderson, der hier schon für »Cuckoo’s Nest« und davor »Hands Of God« verantwortlich zeichnete. Zwei Keyboarder und zwei Perkussionisten sorgen für die Musik. Unter den 13 Darstellern feiert Sarah Ingram (siehe Foto) ihre Wiederkehr nach Frankfurt. Sie hatte zuletzt 2002 noch um die Ecke in der Spielstätte in der Kaiserstraße gastiert und gilt mit ihrem komödiantischen Talent als Idealbesetzung für Mrs. Lovett.
Gefeiert wird mit diesem Leckerbissen eines Musical-Thrillers, der nur wenig älter ist als sein Host, aber auch weiter das 40. Jahr des English Theatre. Um auf dessen Schöpfer anzustoßen, braucht es noch etwas: Stephen Sondheim hat erst am 20. März nächsten Jahres Geburtstag. Da wird er 90 Jahre alt .

Winnie Geipert (Foto: Probenfoto, © English Theatre)
2. November bis 9. Februar: Di.–Sa., 19.30 Uhr; So., 18 Uhr
www.english-theatre.de

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