English Theatre startet mit »The Glass Menagerie«

Cosi fragile!

Ein »memory game«, ein Spiel aus der Erinnerung, nennt Tennessee William sein Drama »The Glass Menagerie« nachdrücklich. Der Protagonist seines Stücks, Tom Wingfield, lässt uns als Erzähler im Abstand von gut zehn Jahren eine Episode von seiner Familie im St. Louis der Dreißigerjahre, der Zeit der großen Depression, nacherleben, um dabei immer wieder in seine Rolle zu springen.
Im English Theatre hat Regisseur Tom Littler die Handlung auf drei kreisrunde Plattformen verlegt, die das karge Zuhause der Wingfields vorstellen, cocoonartig umgeben von einem Dutzend hoher, kaum erkennbarer schwarzer Stelen, die mit Spiegeln behaftet sind und rotieren. Zu sphärischen Klängen ins Dunkel getaucht, wird die Bühne immer wieder zu einem unwirklich anmutenden flimmernden Fundus der inneren Rückschau. Naturalistisches Theater à la Gerhart Hauptmann, so viel vorweg, serviert uns das vom Sounddesigner Max Pappenheim unterstützte Londoner Team um Littler nicht.
Dabei lässt sich die Toms gehbehinderte Schwester Laura fokussierende Geschichte ganz so an. Weil sein Vater die Familie über Nacht verlassen hat, ist der zum Schriftsteller sich berufen fühlende junge Mann gezwungen, den Ernährer zu geben. Ein Fabrikjob hält das ärmlich lebende Trio aus ihm, seiner Mutter Amanda und Laura über Wasser. Damit nicht genug, schiebt Amanda dem frustrierten Sohn auch die Verantwortung für die Zukunft der von Komplexen gequälten Schwester zu, die sie durch eine Heirat retten will. Mit der Wirklichkeit kommt hier keiner zurecht. Wie eine Flipperkugel stößt es den hilflosen Tom hin und her, zwischen seiner in Erinnerungen an umschwärmte Tage schwelgenden Mutter, der sich im Glitzern ihrer Glasfiguren selbstvergessenen Schwester, seinem allabendlichen Rückzugsort Kino und dem Drang, endlich abzuhauen. Als er seinen Kollegen Jim zum Essen einlädt und dieser in Laura eine alte Schulfreundin erkennt, öffnet sich ihr für ein paar selige Minuten lang der Himmel.
Das in gemeinsamem Tanz und einem Kuss kulminierende tête-à-tête zwischen Laura und Jim schlägt das Publikum in Bann. Brian Moore spielt den Phoenix aus der Asche so aufrecht souverän, dass man bangend mitfiebert, wenn die beeindruckende Laura Darall mit jedem Atemzug ihrer aschenbrödelhaften Namensvetterin perlendes Prinzessinnenleben einhaucht – und sie erwachen lässt. Cosi fragile! In den Sekunden des Glücks nimmt sie es sogar hin, dass ihre Lieblingsfigur, das mythische Einhorn, sein so symbolträchtiges Teil verliert. Glück pur, bis Jim seine baldige Hochzeit gesteht und Laura in eine minutenlange Schockstarre katapultiert.
Littler unterstreicht mit diesen Gesten das »memory play«, was erst recht für die Tragikomik Amandas gilt, die der brillierenden Nina Young anvertraut ist. Ganz so, wie ihre theatergeschichtlich jüngere Schwester Blanche Dubois in »Endstation Sehnsucht« stellt auch sie eine die Realität leugnende verblühte, verlassene Südstaaten-Beauty vor, steht als Alleinerziehende aber auf festeren Beinen. Young gibt sie mit fürchterlicher Perücke zum Fremdschämen überdreht und zum Niederknien sorgend. James Sheldon, den wir aus »Strangers on a Train« kennen, hat in den eher laut als zwingenden Streitszenen mit der Mutter einen schweren Stand, weiß aber als Freund, Bruder und Erzähler in dieser werknah verabreichten Wohltat guten Schauspielertheaters zu überzeugen.

Winnie Geipert (Foto: © Kaufhold)
Bis 24. Oktober, Di. – Sa. 19.30 Uhr, So. 18 Uhr.
www.english-theatre.de

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