Erst verschoben, jetzt scheint es soweit. Die 1999 verstorbene britische Autorin Sarah Kane erhält nachträglich zu ihrem 50. Geburtstag (3. Februar) ein Festival in Frankfurt. Mit allen Werken und noch viel mehr. In den Landungsbrücken.
Landungsbrücken-Macher Linus König erklärt uns, warum und was uns erwartet:
»Die Entstehung des britischen »In yer face-theatres« war eine theaterhistorische Wegmarke. Besonders dabei hervorgetan hat sich Sarah Kane. Die hat dem Theaterestablishment, dem Publikum und der Gesellschaft nicht nur auf die Finger geschaut, sondern dorthin getreten, wo es besonders weh tut: in die eigene Wahrnehmung.
Heute ist dieser Tritt notwendiger denn je. Denn man hat zwar im Theater durchaus kritisch in und auf die Gesellschaft geguckt, aber spätestens, als man auf sich selbst zurückgeworfen war in dieser unserer Pandemie, da musste man erkennen, dass so ein Tritt eigentlich auch dem Tretenden wehtun muss. Damit sich nachhaltig etwas ändert.
Seien wir doch mal ehrlich: Was genau hat sich denn seit der Premiere von »Blasted« 1995 wirklich getan? Sarah Kane hat in ihren Stücken ganz ohne Auftrag, sondern einfach nur aus der puren rohen poetischen Lust am Theater, Themen behandelt, die sich jetzt erst mühsam einen Weg ins kollektive Bewusstsein bahnen. Gedanken aufgebrochen, Seherfahrungen hinterfragt und herausgefordert. Sie hat Unschönes thematisiert, ihre Figuren verletzlich gemacht, nie aber ausgestellt. Sie hat Opfern von sexueller Gewalt eine Stimme gegeben, bevor es #metoo gab. Sie hat in der Provokation getarnten Alltagsrassismus gezeigt, bevor es schick war, sich als weiße Person als anti-rassistisch zu definieren. Sie hat einfach gemacht.
Und jetzt machen wir. Das sind sechs freie Theatergruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet mit völlig unterschiedlichen Ästhetiken, Herangehensweisen und Perspektiven auf Theater, die sich Sarah Kane als Autorin, als Künstlerin, als politische Aktivistin (wider Willen) und als Theatermacherin annähern und ihr Gesamtwerk zeigen. Ab August.«
Den Auftakt machen Akgün/Schassner/Zehaf mit der Stückentwicklung »in her face oder die Autorin ist tot«. Das Stück beschäftigt sich vordergründig mit Kanes Rezeptionsgeschichte, aber eigentlich mit der Frage nach der Entsymbolisierung des Ichs und der Überforderung, eine Frau in einer Welt voller Symbole zu sein. Premiere ist am 4. August.
Das Theater Landungsbrücken Frankfurt nähert sich »Zerbombt« als konzertante Mediensatire und lässt die alltägliche persönliche und gesellschaftliche Gewalt als buntes Geflimmer der digitalen asozialen Bildschirmwelten sichtbar werden. Premiere 11. August.
mädchen*theater lässt in »Phaidras Liebe« die antiken Figuren als Schablonen gesellschaftlicher und persönlicher Erwartungen auftreten. Im sterilen Raum werden Männer und Frauen aufeinander losgelassen, die nichts mehr verhandeln, sondern nur noch darstellen. Premiere 18. August.
pan productions fragt in »Gesäubert«, was von der Liebe bleibt, wenn sie nur noch die Projektionsfläche der eigenen Leere sein kann. Premiere 2. September.
KORTMANN&KONSORTEN zeigt »Gier« als Partitur der aufgelösten Körper und Wörter, die die Zuschauenden komplett sich selbst überlassen. Premiere 9. September.
Mareike Buchmann/FIEL IMPUKS setzen in »4.48 Psychose« Wegmarken eines auf der Bühne lebendig gewordenen Traumes, der je nach Betrachtung auch eine Psychose sein kann. Premiere 15. September 2021.