Ein Gesicht zum Verlieben
»Frances Ha« von Noah Baumbach
Frances ist Tänzerin, oder will es werden. So ganz genau weiß es die 27-Jährige selbst nicht. Vorerst gibt sie den kleinen Mädchen Unterricht und hofft auf ein Engagement in der Weihnachtsvorstellung der Ballettschule. Wenn man nun denkt, aus so einem Thema kann kein guter Film werden, irrt man sich gewaltig. »Frances Ha«, die große positive Überraschung im Panorama-Programm der Berlinale, hätte im Wettbewerb eine gute Chance auf einen Bären gehabt.
Immer wieder führt der Kontrast von Wunsch und Wirklichkeit zu bemerkenswerten Filmen – wie im aktuellen »Oh Boy« oder in den mittlerweile klassischen Anfängen der ›nouvelle vague‹ und des Jungen Deutschen Films oder in Woody Allens früher Phase. So knüpft Regisseur Noah Baumbach allein schon mit der wunderbaren Schwarzweiß-Arbeit von »Wendy and Lucy«-Kameramann Sam Levy an Woody Allens »Manhattan« an. Sein Film »Frances Ha«, zu dem er zusammen mit Hauptdarstellerin Greta Gerwig das Drehbuch schrieb, ist eben auch eine Liebeserklärung an Brooklyn, wo Frances ihr unstetes Leben zwischen Versuch und Irrtum führt.
Sie wohnt mit ihrer Freundin Sophie (Mickey Sumner) zusammen »wie ein lesbisches Paar, das keinen Sex mehr hat«. Die beiden sind ein eingespieltes Team, auch wenn es ans Träumen geht. Sophie wird einen Verlag leiten und einen großen Bildband über die berühmte Tänzerin Frances herausbringen. Und sie werden Preise und Ehrungen zuhauf bekommen.
Soweit die Träume, doch die Realität sieht anders aus. Gerade als Frances ihrem Freund das Angebot, mit ihm zusammenzuziehen, abschlägt, weil sie bei Sophie bleiben wolle, eröffnet diese ihr, dass sie eine tolle Wohnung in Tribeca gefunden habe. Dort wollte sie schon immer hin. Doch weil Frances für den Nobelstadtteil das Geld fehlt, zieht sie kreuz und quer durch Brooklyn; mal ist sie bei Freunden, mal kommt sie irgendwo als Zwischenlösung unter. Auch ein kurzer Abstecher nach Paris ist dabei. Der Film zeigt uns ihre New Yorker Adressen in Zwischentiteln, als Kapitelüberschriften gewissermaßen.
Das alles wäre an sich nichts Besonderes, wenn Frances nicht ein extrem munteres und phantasievolles Wesen wäre, dem zuzuschauen höchst unterhaltsam ist. Groß und blond, schaut sie bei den Ballettproben ein wenig ungelenk aus, dafür wirkt sie mit ihrem Gesicht. Es ist in äußerst fotogenes Gesicht, in dem sich Hoffnung und Enttäuschung spiegeln, wie man es selten im Kino erlebt.
Ein Gesicht zum Verlieben, dabei eine extrem anstrengende junge Frau, die offen ihre Meinung sagt oder das, was sie gerade dafür hält. Sie interessiere sich nicht für Filme über Tiere, plappert sie unter Fremden munter drauflos. »Tiere müssen sprechen oder Krieg führen, um mich zu interessieren.« Diese Frau zu einer offiziellen Einladung mitzunehmen bedeutet, früher oder später pikierte Blicke der Gastgeber zu ernten. Und so nebenbei zeigt der Film auch, dass die Toleranz unkonventionellen Äußerungen gegenüber in den letzten Jahren (oder Jahrzehnten) nicht gerade zugenommen hat.
»Frances Ha« ist in vielen Szenen nahe am Dokumentarfilm, an einer Studie über die gut ausgebildete, aber perspektivlose Generation der Zwanzigjährigen. Dennoch behält der Film seinen hintergründigen Humor – bis zum Schlussgag, der den Titel erklärt.