Jakob Arjounis neuer Roman: »Bruder Kemal. Kayankayas fünfter Fall«

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Frankfurter Getümmel

Endlich. Lange, ganze elf Jahre, mußten die Freunde des türkisch-deutschen Privatdetektivs auf ihn warten. Jetzt schickt ihn Jakob Arjouni zum fünften Mal ins Frankfurter Getümmel.

Mit dreiundzwanzig Jahren hatte der damals junge Frankfurter Schriftsteller seinen ersten Krimi »Happy Birthday, Türke« veröffentlicht; von Doris Dörrie erfolgreich verfilmt. Nach drei weiteren Fällen war dann erst einmal Ruhe. Jetzt ist er wieder da, etwas gealtert, etwas geläutert, etwas milder geworden, fast verheiratet, aber echt cool geblieben.

Marieke ist sechzehn und, wenn man ihrer Mutter glaubt, »sehr talentiert, belesen, politisch engagiert, neugierig, voller Humor«, also ein Prachtstückchen, mit nur einem Mangel behaftet, sie ist seit mehreren Tagen verschwunden. Die Mutter »eine sportliche Solarium-Blondine, deren Körper aus hellbraunem Hartgummi gegossen zu sein scheint«, wohnt im Frankfurter Diplomatenviertel. Sie hat aber nicht die Polizei informiert, sondern einen Privatdetektiv engagiert. Erstens scheint genug Geld da und zweitens hat Valerie de Chavannes gute Gründe, den Fall diskret zu behandeln. Selbst ihr Künstler-Gatte, der zur Zeit verreist ist, soll nichts von dem Verschwinden seiner Tochter erfahren. Die Mutter vermutet, dass der Türke Akabay dahintersteckt. Sie hatte ihn, Goldkettchen, ölige Haare, in einem Café kennengelernt und gleich zu einer Party eingeladen. Sie hoffte, dieser Exot würde ein bißchen Pep, »was Schlüpfriges, ein bißchen was Orientalisches« ins Haus bringen. Leider hatte aber nicht nur die Mutter, sondern auch die Tochter Gefallen an ihm gefunden. Das ging der Dame entschieden zu weit.

So kommt Kayankaya ins Spiel. Er hat wenig Mühe, den Fall zu lösen. Nur muß er in Akabays Wohnung, in der er das Mädchen gleich findet, erst einmal über eine fette Leiche steigen. Auch Marieke hatte sich sehr pfiffig verhalten und den Finger in den Hals gesteckt. So war sie, süßlich nach Kotze stinkend, einer drohenden Vergewaltigung entgangen. Kayankaya befördert Abakay mit gezielten Tritten in eine tiefe Ohnmacht. Dann informiert er die Polizei. Zur gleichen Zeit erhält Kayankaya noch einen weiteren, scheinbar unproblematischen Auftrag. Er soll während der Buchmesse einen Marokkaner als Bodyguard begleiten. Dieser Malik Rashid hat ein Buch geschrieben, in dem er »das Verhältnis der muslimischen Gesellschaft zur Homosexualität« behandelt. Das birgt Zündstoff. Der bis dahin völlig unbekannte Schriftsteller wird plötzlich zum »international renommierten und gefeierten Bestseller-Autor«  hochstilisiert, sein Buch als »äußerst wichtig und hoch brisant« beworben. Kayakaya spielt die möglichen Gefahren durch: Demonstrationen? Er kennt sich aus. »Entweder ist es möglich, mit den Leuten zu reden, oder Herr Rashid und ich gehen eine Rindswurst essen bis die Demonstration vorbei ist.« Sprengstoffattentat? »Das Risiko, bei einem Sprengstoffattentat in die Luft zu fliegen, ist in Europa hundertmal geringer, als an einem Mini-Mozzarella zu ersticken. Passen Sie also in den nächsten Tagen bei den kalten Büfetts auf.«

Das ist Kayankaya. Ein witzig-ironischer Ton, immer leicht  spöttisch. Ein sympathischer Typ, schlagfertig, aber auch ein bißchen spießig, durchaus bodenständig. Ein Bier gibt ihm mehr Halt als Religion, Sternzeichen und Glückszahlen. Sein Umfeld sind die Kleinkriminellen, Drogendealer und Zuhälter. Er schlägt sich gelegentlich,  trinkt manchmal etwas zu viel und hat sich mit seinem (Über-)Gewicht abgefunden. Zu seiner ehrlichen Überraschung wird die Sache plötzlich brisant. Der Autor wird tatsächlich gekidnappt. Ein Scheich Hakim meldet sich, oberster Prediger in der Moschee und zufällig auch Onkel des Verhafteten Akabay. Jetzt ahnt man, wohin der Hase läuft, die beiden Fälle sind eng miteinander verzahnt. Kayankaya stellt die Bedingungen für ein Treffen: Sein Lieblingslokal im Bahnhofsviertel, der »Haxen-Herbert«, wo die Gäste Unmengen von Schweinefleisch verdrücken. Der sendungsbewußte Scheich hatte beim Einbruch in Kayankayas Büro einen kleinen Koran auf dem Tisch liegen lassen, wofür sich der Privatdetektiv artig bedankt: »Bin schon fast am Ende und sehr gespannt, wie es ausgeht.« Und jetzt wird es wirklich spannend. Es kommt zum Showdown. Und zwar dort, wo sich ein Frankfurter auskennen sollte, im Grüneburgpark, dem »Café im Türmchen oben, gegenüber vom Koreanischen Garten«.
In den Romanen von Arjouni geht es weniger um eine äußerliche Ordnung als vielmehr um Gerechtigkeit. Nicht ums (formale) Recht. Oft bleiben die Übeltäter straffrei, während die wahren Schweine gerne echt (ab)geschlachtet werden. Eben wirklich eine coole Geschichte von einem echt coolen Typ.

Sigrid Lüdke-Haertel
Jakob Arjouni: Bruder Kemal. Kayankayas fünfter Fall, Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2012, 225 S., 19,90 €

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