Zwei auf einer Friedhofsbank
Eine Frau lockt ihren Ex in einen Hinterhalt, um mit ihm abzurechnen. Das Krimimuster, das Lot Vekemans’ Beziehungsdrama »Gift« zugrunde liegt, trägt gewiss zu der Spannung bei, mit der man die Dialoge ihrer namenlosen Protagonisten ER und SIE verfolgt, die sich zehn Jahre nach ihrer Trennung dort wiederbegegnen, wo ihr Sohn Jakob begraben liegt. Mit dessen Tod, einem Unfall, ging ihre Ehe kaputt. In der Silvesternacht suchte ER das Weite.
Weil Jakobs Grab in kontaminierter Erde liege, müsse es umgebettet werden, lud SIE ihn zum angeblichen Ortstermin mit der Pfarrei, was sich allmählich als eine (fast schon sympathische, weil unbeholfene) Finte erweist, mit der SIE über das Sprechen in das Leben zurückzufinden sucht. Die Zurückgebliebene quält das Trauma des Verlustes noch immer, während ER in Frankreich längst wieder verheiratet ist und gar vor neuen Vaterfreuden steht. Ganz so klar, wie es scheint, sind die Rollen aber nicht verteilt. Vekemans zeigt uns ER und SIE zwar als zwei Fremdgewordene, die sich nahezu angstvoll verunsichert tastend einander nähern und im schwierigen Bemühen um ein beide sicher tragendes Sprachterrain – anerkennen lernen. In einer ziemlich poetischen Schlusspointe kommen sie sogar zu einem neuen gemeinsamen Dritten. Etliche Preise gab es für die holländische Autorin.
Im Titania findet die abseitige Begegnung als Regieerstling von Bettina Kaminski vor einer langen Reihe mit Plastikplanen bedeckter Stühle statt. Davor ein kleiner Trog, vielleicht ein symbolisches Gefäß, um das herum man sich etwa Kies vorstellen könnte. An der Seite sitzt einem Medium gleich die Sängerin Annette Kohler-Welge, die den Findungsprozess gewissermaßen als Tonfigur summend, sirrend, singend, ja selbst schreiend begleitet. Auch das, nicht ganz von dieser Welt.
Michaela Conrads SIE hat sich sichtlich herausgeputzt zum Großangriff, unbeeindruckt lässt das Wolfgang Mondons leger in Jackett und Jeans gekleideten ER nicht. Conrads unablässige Stiche gegen den Hausflüchtling setzen SIE nicht eben in ein angenehm zu schauendes Licht. Wie aber sonst sollte eine fraglos therapiebedürftige Person sich in dieser selbst initiierten Stunde der Wahrheit fühlen und geben? Mit ihrem insgesamt sehr dezenten Spiel erschaffen die beiden Schauspieler zwei sehr glaubwürdige Figuren, denen man am Ende sogar gemeinsame Dummheiten zutraut. Dass seine Neue in Frankreich mit der Ehemaligen konkurrieren könnte, glaubt kein Mensch.
Lot Vekemans‘ Stück wird seit 21. Dezember (nach Redaktionsschluss) auch am Staatstheater Mainz mit Andrea Quirbach und Stefan Walz, zwei der profiliertesten Darsteller des Hauses, eine halbe Generation weiter aufgeführt und dürfte auch von daher den Vergleich lohnen.