Anders als die Anderen
Ferdinand ist ein Stier wie aus dem Bilderbuch, glänzend im Fell, mit einem breiten Rammschädel. Doch ist er einer, der dem permanenten Kraftgebaren seiner rauflustigen Brüder rein gar nichts abgewinnen kann. Stattdessen freut Ferdinand sich über duftende bunte Wiesenblumen an denen er im Schatten seines Lieblingsbaumes schnuppern kann.
Ausgerechnet als die Madrider Matadore kommen, um sich die wildesten Stiere für die Stierkampfarena zu suchen, sticht eine böse Hornisse Ferdinand so arg, dass er vor lauter Wut und Schmerz wild um sich tritt und schnaubend durch die Gegend tobt. Die Senores aber finden, dass ein solch tollkühner Kerl genau der richtige für die Arena ist und nehmen ihn mit.
Armer Ferdinand? Nein, nein. Der amerikanische Kinderbuchautor Munro Leaf hält in der schon 1936 für einen Trickfilm erfundenen Geschichte über einen etwas anderen Stier ein schönes Happy-End bereit. Jule Richter hat diese Geschichte in eine eigene Fassung gebracht, die sie nun im Gallus-Theater zeigt. Sie spielt die sieben Jahre alte deutsch-spanische Schülerin Monica, die in ihrer Schulklasse keine wirklichen Freunde hat, weil niemand dort verstehen kann, dass sie Kühe liebt.
Monica alias Jule lässt sich viel Zeit, bis sie zu unseren vierbeinigen Helden kommt, und führt ihre jungen Lauscher erst mal in die unglaublich bunte Welt der Kühe ein. Was es da nicht alles gibt geht auf keine … – eben: Mit einer Zeichnung erklärt sie beispielsweise, wie das mit dem Wiederkäuen in den vier Mägen funktioniert. Und schon bald weiß sie von Ochsen, Bullen, Kälber, Färsen und Stieren zu berichten. Und von Stierkämpfen, was einem jungen Naseweis ein begeistertes »Oh, ja geil« entlockt. Und dann erzählt Monica endlich von ihrem Kuscheltier, dem Ferdinand, und wie sie mit ihm Geschichten erfindet. Monicas Freund ist aus Plüsch, ein süßer Winzling, wie man ihn manchmal in Autos an Rückspiegeln baumeln sieht.
Es ist ein in der Tat ein Kinderspiel, das Monica mit ihrem wollenen Freund vollführt, den sie zum vertrauten Gespräch auf ihre Schulter setzt und sich an sie kuscheln oder auch mal verstecken lässt. Im Nu ist der keine zehn Zentimeter große Wicht ein animiertes Geschöpf, das sein Publikum lachen, schmunzeln und mitfühlen lässt. Jule Richter wechselt mit lebhaftem Mienenspiel rasend schnell die dargestellten Figuren und Stimmungen. Sie tobt und schnaubt, als Ferdi von der Hornisse gestochen wird, sie schnieft verzückt die zartesten Düfte und karikiert zum großen Vergnügen aller den dreiköpfigen Spähtrupp der tollen Matadore. Unter den wenigen Requisiten, die sie dafür braucht, gefällt besonders die Trompete, der sie spitze spanische Stierkampf-Fanale entlockt, bevor diese ihr umgestülpt als jenes Bäumchen für Ferdinands seligste Schnupperstündchen verbringt. 50 fesselnde Minuten von Birte Hebold inszeniert – mit einer Botschaft vom Anders-Sein die sich nicht aufdrängt und doch verstanden wird. Sechs Jahre alt sollten die Kinder schon sein.