»Gegen den Strom« von Benedikt Erlingsson

Der Umweltschutz ist eine ernste Sache. Viele Menschen haben das mittlerweile erkannt und greifen trotzdem zum billigen Dosenbier. Man könnte nun einen Dokumentarfilm über die Aluminiumgewinnung aus Bauxit drehen. Doch wer wollte den im Kino sehen? Da ist es attraktiver, die ebenso spannende wie skurrile Geschichte von einer Unweltaktivistin zu erzählen.

Der Isländer Benedikt Erlingsson, der sich der Sache angenommen hat, ist so etwas wie ein Spezialist für eigentümliche Filme. In seinem Spielfilmerstling »Von Menschen und Pferden« schilderte er das bisweilen seltsame Liebesleben seiner Landsleute aus der Sicht der Pferde. In »Gegen den Strom« konzentriert er sich auf eine Frau mit Doppelleben – als ›running gag‹ wird eine Nebenfigur immer wieder zu Unrecht verhaftet.
Die etwa fünfzigjährige Halla, Chorleiterin im bürgerlichen Leben, zieht mit Pfeil, Bogen und Stahlseil durch die Natur und unterbricht die Stromversorgung einer isländischen Aluminiumhütte, die von internationalen Investoren aufgekauft werden soll. In ihrem geheimen Kampf unterstützt wird die Einzelgängerin von einem Schafzüchter, der in der Nähe der Strommasten mit seinem aufgeweckten Hund lebt, den er »Frau« ruft. Er könnte Hallas Cousin dritten Grades sein (auch ein Verweis auf das abwechslungsreiche Liebesleben der Isländer), und ohne seine Hilfe wäre Halla längst geschnappt worden.
Halla hat eine Zwillingsschwester namens Ása, die auf dem esoterischen Weg nach Innen unterwegs ist. Sie erfährt als erste, dass Hallas Wunsch nach einem Pflegekind endlich in Erfüllung geht. Weil das zulässige Alter für Adoptiveltern angehoben wurde, hat nun ein vierjähriges Mädchen im Waisenhaus in der Ukraine gute Aussichten, Halla als neue Mutter zu bekommen.
Ása kann allerdings nicht die Ersatzmutter in Notfällen geben – sie will nach Indien in einem Ashram ihre innere Ruhe und Gelassenheit finden. Nicht nur deshalb erschwert die bevorstehende Adoption Hallas Doppelexistenz als unbescholtene Bürgerin und militante Aktivistin, die sich »die Bergfrau« nennt.
Da muss ein Konzerttermin des Chores verschoben werden, und mit ihrem Kampf gegen die Alufabrik gerät sie in Terminnot.
»Gegen den Strom«, diese märchenhafte Tragikomödie und Politsatire, lebt aber nicht nur von dem mit Ironie getränkten Plot. Verfremdend und verfremdet begleitet ein musikalisches Trio die Heldin im Hintergrund, und drei Trachtenmädchen stimmen bisweilen einen Chor an, der an griechische Tragödien erinnert.
Die beiden unterschiedlichen Weltverbesserinnen verkörpert – die digitale Bildtechnik macht es möglich – eine überragende Halldóra Geirharðsdóttir, die schon in »Von Menschen und Pferden« mitwirkte. Während sie Halla mit ebensoviel Charme wie Energie versieht, macht sie aus Ása eine abgedrehte, aber durchaus mitfühlende Frau, die im Notfall auch die richtige Wahl zu treffen in der Lage ist.
Der Film weiß ein politisches Anliegen und eine am Ende auch anrührende Geschichte elegant zu verbinden. Vermutlich braucht man eine starke Naturverbundenheit, um gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen und den Kampf gegen sie wie Naturereignisse zu schildern. Aber die ist wohl den Isländern und Isländerinnen immer noch gegeben. Nicht alle Hoffnungen werden erfüllt, zwischendurch muss auch eine wortwörtlich begraben werden. Umso bewegender, wenn sie am Ende doch noch Wirklichkeit wird.

Claus Wecker
GEGEN DEN STROM (Kona fer í stríð)
von Benedikt Erlingsson, IS/F 2018, 101 Min.
mit Halldóra Geirharðsdóttir, Jóhann Sigurðarson, Juan Camillo Roman Estrada, Charlotte Bøving, Björn Thors, Hilmir Snær Guðnason
Tragikomödie
Start: 13.12.2018

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