Hessisches Staatsballett: Doppelabend »Gerade NOW« mit Goecke und Harriague

Natürlich hatte es auch beim Hessischen Staatsballett Diskussionen gegeben. Sollte man ein schon länger geplantes Stück von Marco Goecke aufführen oder lieber aus dem Programm nehmen, nachdem der Choreograf im Februar für einen Skandal gesorgt hatte, als er offenbar aus Frust über eine extrem negative Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der dafür verantwortlichen Kritikerin bei einer Premiere in der Staatsoper Hannover Hundekot ins Gesicht schmierte. Als »inakzeptabel« bezeichnet Bruno Heynderickx, der Direktor und Künstlerische Leiter des in Wiesbaden und Darmstadt gleichermaßen beheimateten Ensembles, die Attacke, und sicher würde Goecke dafür bestraft. Aber er selbst sei überzeugt, dass man am eigenen Programm nichts ändern müsse. »Midnight Raga«, das Werk, um das es geht, wurde bereits im März 2017 vom Nederlands Dans Theater 2 uraufgeführt, und wer es jetzt in der von Goeckes Assistent Ludovico Pace einstudierten Fassung für die kleine Bühne der Landeshauptstadt gesehen hat, kann leicht nachvollziehen, warum es Heynderickx einst »umgehauen« hat.
Bei der Premiere des Doppelabends »gerade NOW!«, an dessen Anfang das intensive Duett steht, füllen Ramon John und Marcos Novais die beiden Rollen aus, für die es auf Wunsch des hiesigen Ballettchefs bei weiteren Aufführungen auch rein weibliche und damit charakterlich ganz andere Besetzungen geben wird. Im bläulichen Licht, von Udo Haberland designt, scheint sich jeder einzelne Muskel der nackten Oberkörper der beiden Tänzer selbstständig zu machen. Ein nervöses Flattern, wie aus dem Inneren heraus, breitet sich aus. Die Hände fächeln so schnell wie Flügel. Dann wieder rucken Arme und Köpfe, Finger krallen sich zusammen. Die Berührungen sind eher druckvoll als zärtlich.
Die schräge, von höchster Körperbeherrschung zeugende Bewegungssprache, die die Augen kaum in ihrer Gesamtheit erfassen können, widersetzt sich den klassischen indischen Klängen von Ravi Shankar und dem bluesigen Gesang von Etta James. Zwölf Minuten lang bannt dieser energetische Fiebertraum die Blicke; danach muss sich das Publikum auf etwas ganz anderes einstellen.
Der zweite Teil des Abends ist einer Uraufführung von Martin Harriague gewidmet. »Of Prophets and Puppets« bringt zwei Personen der Zeitgeschichte, die kleine, zierliche und leise Klimaaktivistin Greta Thunberg in gelber Regenjacke und den früheren, lauten und im Vergleich monströs gebauten US-Präsidenten Donald Trump, als Puppen auf die Bühne. Die beiden Protagonisten liefern sich ein fiktives Talkshow-Duell in Leuchtreklamen-Szenerie, bei dem der queere Moderator, herausragend dargestellt vom auf hohen Absätzen herumstöckelnden Ensemblemitglied Daniel Myers, zunehmend die Kontrolle verliert. Der Tanz dient in den 50 Minuten, in denen der Schwerpunkt auf der Kritik an der Klimakrise und oberflächlich unterhaltenden TV-Formaten liegt, als dekoratives Element, für den der Rhythmus der Sprache die Basis bildet. Wirklich gefordert werden dabei weder die Bewegungskünstler noch ihr Publikum, das sich nach dem fesselnden Bewegungsrausch zuvor entspannt zurücklehnen kann.

Katja Sturm / Foto: © De Da Productions
Termine:
7., 9., 21. September, jeweils 19.30 Uhr (mit Einführung 19 Uhr)
www.staatstheater-wiesbaden.de

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