Das Jüdische Museum legt »Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik« vor

Nicht alle jüdischen Filmschaffenden besaßen nach Ende des Zweiten Weltkrieges das Selbstbewusstsein eines Artur »Atze« Brauner. Der sah als jüdischer Überlebender seine Aufgabe darin, Filme über die Schrecken des Krieges und der Nazi-Herrschaft zu produzieren. Und obwohl diese ihre Produktionskosten nicht einspielten, weil das Kinopublikum nicht so gerne mit den Nazi-Untaten konfrontiert werden wollte und von denen, die das aushielten, nicht genug Geld an der Kinokasse zusammenkam, hörte Atze nicht einfach auf, sondern produzierte erfolgreiche Unterhaltungsfilme, die zu dem schlechten Ruf des deutschen Nachkriegskinos beitrugen.
Diesem Produzenten-Original und den anderen jüdischen Filmkünstlern, auch denen, die vorsichtiger mit ihrer Herkunft umgingen, widmet jetzt das Jüdische Museum eine empfehlenswerte Ausstellung. Nach der Stigmatisierung durch die Nazis ist ein solches Projekt natürlich mit Problernen verbunden, mit denen Kurator Johannes Praetorius-Rhein und die Co-Kuratorin Lea Wohl von Haselberg recht offensiv umgehen.
Denn schon die allgemeine Frage, was jüdisch ist, löste im Nachkriegsdeutschland Kontroversen aus, weil der Antisemitismusverdacht immer in der Nähe war. Zusammen mit dem Deutschen Filminstitut/Filmmuseum (DFF) auf der gegenüberliegenden Mainseite und dem Hanser Verlag in München legt das Jüdische Museum Frankfurt nun »Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik« vor – in Form einer Ausstellung und eines dicken Buches (mit dem man auch einen antisemitischen Angriff abwehren könnte). Das ganze Unternehmen ist ungemein wichtig, weil Menschen in Erinnerung gerufen werden, die nicht aus dem kollektiven Gedächtnis dieses Landes verschwinden dürfen.
Dass es zunächst schwierig werden würde, die deutsche Filmindustrie nach dem Krieg wieder aufzubauen, erkannte schon Deutschlands bedeutendster Filmproduzent Ernst Pommer, der bereits 1946 als amerikanischer Filmoffizier in seine Heimat zurückkam. Mit dem Entnazifizierungsprogramm nach den Vorstellungen Hollywoods und ohne unschöne Kompromisse werde ein Neuanfang kaum gelingen, hielt er fest. Nicht zuletzt die komplexe Lage macht die Rückkehr der jüdischen Filmkünstler so interessant, ob sie von Übersee kamen wie der unvergleichliche Peter Lorre (es gibt ein heiteres Prominentenraten aus dem amerikanischen Fernsehen zu sehen) oder das KZ überlebt hatten wie Walter Koppel und Gyula Trebitsch, die zusammen die Real-Film in Hamburg gründeten.
Die mondäne Lilli Palmer trat wieder auf, und der maßgebende Dokumentarist Erwin Leiser (»Mein Kampf«) machte erschütternde Erfahrungen mit den protestierenden Studenten, die ihn an die unselige Vergangenheit erinnerten.
Aber auch die zeitgenössischen Akteure werden berücksichtigt. Dani Levy, der unverdrossen deutsch-jüdische Komödien dreht, Alice Brauner, die die CCC-Filmkunst ihres Vaters weiterführt, Samuel Finzi, Jeanine Meerapfel und andere erklären, inwiefern sie ihr Jüdischsein lieber ein- oder ausgeblendet sehen wollen.
Eine persönliche Bemerkung sei mir gestattet: Die Erinnerung an Peter Lilienthal hat mich besonders bewegt. Seine außergewöhnlichen Filme müssen unbedingt wieder gezeigt werden! Bei einer ersten Begegnung – es war wohl in Mannheim – unterhielten wir uns, als wären wir seit Jahren befreundet. Das ebenso unerwartete wie ungewöhnliche Gespräch, das eine große gegenseitige Sympathie offenbarte, sollte in München bei Gelegenheit fortgesetzt werden. »Dann reden wir nicht über Filme«, sagte er lachend. Leider ist es nicht dazu gekommen.

Claus Wecker / Foto: Ausstellungsansicht, © Jüd. Museum Frankfurt
Bis 14. Januar 2024: Di.–So. 10–17 Uhr; Do. bis 20 Uhr
www.juedischesmuseum.de

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