Hessisches Staatsballett zeigt Nadav Zelners »glue light blue« jetzt auch in Darmstadt

Neben eher poetischen hat es an diesem Abend eine Reihe von Bildern von einer gehörigen Verve. Immer wieder Ansätze von Szenenapplaus in der besuchten Vorstellung. Erst einmal jedoch beginnt »glue light blue«, das neue Stück des jungen israelischen Choreografen Nadav Zelner für das Hessische Staatsballett, mit Szenen in einem tanztheaternotorischen fahlen Halbdunkel.
Derweil die Zuschauer eingelassen werden, heben und senken sich auf der Bühne regelmäßig in Reihen ausgerichtete Steinbrocken, die an Stahlseilen hängen. Ganz wenig nur, einen, vielleicht zwei Zentimeter vom Boden hoch, dann ploppen sie wieder auf, in fortwährendem Gleichtakt, begleitet von einem Geräusch, das an das Tacken eines Metronoms erinnert. Die Brocken schweben für die ganzen sechzig Minuten über dem von Wänden nach der Art eines abstrakten Bildes in Hellblau und Rostbraun gefassten Raum von Eram Atzmon. In einem Meter Höhe schweben die Wände mal, dann lassen sie nur einen Durchschlupf für die knapp zwanzig Tänzer*innen oder sie setzen auf dem Boden auf. Auf den schwarzen Kutten des Kostümbildners Maor Zabar trifft sich ein Adergeflecht in einem zentralen Punkt mittig in Herzhöhe. Darunter kommen später hellblaue Bodies mit fransig-braunem Schulterbereich hervor. Duttfrisuren bei den Frauen wie auch einem Teil der Männer, einige Kahlschädel auf der männlichen Seite.
Diese vom Gesamtkunstwerksgedanken getragene Kreation fußt auf einem mehr oder weniger freien Zusammenspiel der durchweg äußerst präsenten Elemente Raum, Kostüme, Musik und Tanz. Zelner führt einen in eine Fantasiewelt, die zu faszinieren vermag. Bezeichnend etwa eine Szene mit zwei Frauen, zu Geräusch von Wasser beugen sie rhythmisch ihre Oberkörper vor und kieksen vogelrufartig. Derlei neckisch pointierte Szenen – in einer Art, die man dem Stück nicht übelnehmen muss – finden sich immer wieder, nicht im Übermaß jedoch. Da geht das ganze Ensemble in die Knie und die über ihm schwebenden Gesteinsbrocken folgen ihm unisono mehrfach auf und ab. Oder es irrt ein Mann staunend-suchend auf der Bühne umher, eine Lautsprache zwischen den frühen Versuchen eines Babys und konkreter Poesie auf den Lippen. Formal ist das alles imponierend gut durchstrukturiert.
Das anfängliche sich abzeichnen einer konventionellen Dramaturgie des Wechsels von Ensembleszenen, Pas de deux und Kleingruppen ist schnell vergessen. Der Abend wuchert gleichsam organisch immer weiter, in stringenten Bildern. Tanzsprachlich geschieht nichts grundstürzend Neues, eine eigenständiges, einnehmend frisch wirkendes Idiom indes ist dem mit Recht hoch gehandelten Anfang Dreißiger zu bescheinigen. Die Musik stammt aus dem Nahen Osten, mit Oud & Co. Meist gibt sie Atmosphären vor, mal auch treibt sie ein Tanzlied an zu einer Szene voller Verve. Manifeste Spuren von »Ethno« im Tanz finden sich keine.
Das Auge bekommt bei Nadav Zelner reichlich viel geboten. Worauf das inhaltlich hinaus will, wird nicht recht offenbar. Aber das fällt nicht zum Schaden aus. Was Zelner im Programmheft ausführt, vergisst man besser; es wirkt entzaubernd. Ein raunendes Gründeln auf der Bühne jedenfalls ist seine Sache nicht, vor Bedeutungsschwere verschont er uns, wie auch vor Gemeinplätzen des Tanzes nach dem Muster Art von Gemeinschaft, Rituale und so fort. Man wird mithin nicht intellektuell beleidigt. Ist doch schon was. Nach Wiesbaden nun auch in Darmstadt.

Stefan Michaltzik / Foto: © Andreas Etter
Termine in Darmstadt: 3., 8., 11., 31. Mai, 19.30 Uhr; 19. Mai, 18 Uhr
www.hessisches-staatsballett.de
www.staatstheater-darmstadt.de

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