Wer hat Angst vor Raps?
Eines der widerlichsten Gemälde, die in der Städel-Ausstellung »Die 80er. Figurative Malerei in der BRD« auszuhalten sind, trägt den feuchten Titel »Kotzer II«. Es zeigt auf zweieinhalb Metern im Querformat auf dunklem grünblauem Untergrund in dickem Strich zwei einander abgewandte Grobschädel, aus deren aufgerissenem fleischigen Mäulern jeweils ein langer roter Strahl schießt. Ob die Ingredienzen des linken Ausstoßes unverdaut Geschnetzeltes oder die Farben der Sowjetflagge meinen, bleibt unerheblich. Als Kommentar zur Welt, zur Kunst, zu allem lässt diese Arbeit von Walter Dahn und Jiri Georg Dokoupil wohl keine Fragen offen.
Nun hängt das mutmaßliche Ergebnis einer durchzechten Kölner Nacht als Leihgabe der Galerie Haas aus Zürich im Frankfurter Städel aus, wo es mit eher dokumentarischem Impetus das Wirken und Wüten der rheinländischen Künstlergruppe Mülheimer Freiheit bezeugt. Man muss sich das Teil nur ein paar Säle weiter denken, an die Seite des Tischbein-Gemäldes etwa, um sich den Schock, aber auch den Reiz vorzustellen, den dieser Comic-Vulgarismus ausgelöst haben dürfte. Hier, unter seinen Altersgenossen, aber hält man das Bild aus.
Es ist eine ziemliche Vielfalt an Stilen und Motiven, mit der das Städel da nachvollziehbar macht, dass sich ein einheitlicher Stilbegriff für die 80er Kunst nicht hat finden lassen. Die jungen Wilden, Neoexpressionisten und Heftigen Maler stehen zwar alle für Ausbruch und Abgrenzung, aber sie tun das auf verschiedensten Bahnen. Der Kurator hat rund 100 Werke von 27 Künstlern geographisch nach ihrer Herkunft sortiert und lässt dabei etwas vom kulturellen Flächenbrand ahnen, der sich nicht nur auf Deutschland und keineswegs nur auf die Malerei beschränkte. Im kleineren Rahmen hat die Kunsthalle Darmstadt bereits 2011 mit der Schau »Schlachtpunk« (Strandgut 11/2011) die Nähe zur Musik hervorgehoben. Der nun auch in Frankfurt zu sehende »Singer« von Helmut Middendorf, der selbst in einer Punkband spielte, stellt das »London Calling«-Cover von The Clash nach, das übrigens seinerseits eines von Elvis Presley zitiert.
In der Berliner Sektion stechen die provozierenden Arbeiten der Schwulen-Aktivisten Salomé und Luciano Castelli heraus, die beide in der Band »Die Geilen Tiere« auftraten. Ihr strichiges Selbstdoppelporträt in Bowie-Pose fungierte gleich mehrfach als Cover, Plakat und eben als ein Ölgemälde. Ihr Großformat »KaDeWe« ist von der Fleischabteilung des Westberliner Kaufhauses inspiriert und lässt statt Schweinehälften rosafarbene nackte Männerkörper (die eigenen) kopfüber baumeln.
Ein in Lila getauchtes Berliner-Mauer-Bild vor komplementärem gelbem Himmelhintergrund von Rainer Fetting gehört zu den Ruheflächen für das hier schonungslos geforderte Auge. In der Rheinland-Abteilung ist das Bernd Zimmers »Feld, Raps« von 1979, das allein über den Namen als Figuration zu deuten ist. Ob es auch ein ironischer Künstlerkommentar zu dem Ankauf von Barnett Newmans furioser Viererserie »Who’s Afraid of Red, Blue and Yellow?« durch die Nationalgalerie ist, wie in einer Führung zu hören ist, bleibt offen, weil letzteres erst 1982 erfolgte und Zimmer auch fürderhin vom Raps nicht mehr ließ.
Last und noch lang nicht least sei auf die Düsseldorfer Gruppe Normal und die rätselhaften Bilder von Peter Angermann hingewiesen. Die Beuys-Schüler wollten ihren Vatermord mit einer Wendung zur wirklich guten Malerei für Jedermann begehen, heißt es. Angermanns Bibelparabel führt Josef, Maria und ihr Kid auf der »Flucht nach Ägypten« zum Picknicken auf eine herrlich grüne Wiese im Alpenvorland. Während sich im Hintergrund die Autobahn in Serpentinen am Berg schlängelt und Ochs und Esel auf der Wiese weiden, haben die von einem mittelalterlichem Glorienschein umwölkten Eltern auf einer Schottenmusterdecke zwei Croissants sowie für den Kleinen eine Birne aufbereitet. Und zum Trinken eine Thermoskanne Kaffee.