Kellertheater zeigt Felix Mitterers »Ein Jedermann«

Nah am Heute, sprich: zeitgemäß, und nah am Menschen, sprich: nachvollziehbar. Das sind zwei Aspekte, die Wolf Marian Gerhardt bewogen, Felix Mitterers Stück »Ein Jedermann« für das Kellertheater zu inszenieren. Und nicht DEN »Jedermann«, das auf einem uralten Volksstück fußende »Original« von Hugo von Hofmannsthal (1911). Anders als der Klassiker verharrt dieses 1991 uraufgeführte neue »Spiel vom Sterben des reichen Mannes« nicht im Abstrakten allegorischer Figuren. Mitterers »Jedermann« heißt Thomas und ist kein Müßiggänger, sondern Generaldirektor eines waffenexportierenden Stahlkonzerns, der auch sonst keine Schweinerei auslässt. Seine Rita, die Buhlschaft, ist keine Dame fürs Gelegentliche, sondern die echt geliebte Geliebte, und sein Freund, der Gute Gesell, der Bundeskanzler.
Jedermanns letzter Tag ist beschlossene Sache nach dem G5-Gipfel mit Gott, Jesus und Heiligem Geist, sowie Tod und Teufel als Beisitzer. Ein paar Prüfungen werden dem Vollsünder noch auferlegt, die dann auch dick auf dick kommen: der Sohn wird wegen Drogen verhaftet, seine betrogene Gattin und der gelinkte Geschäftsfreund bringen sich um, und während die Firma unter Streiks zu kollabieren droht, verlässt ihn auch noch die Geliebte. Doch statt diese Schläge als Chance zur Umkehr zu begreifen, kriegt Jedermann mit Hilfe des Teufels die Dinge ungeläutert wieder in den Griff. Als am Ende des Tages sein Herz versagt und er vor den Richter tritt, hat er so ziemlich alles verbockt.
Tod und Teufel spielen als braver Diener Heinrich und als Berater Troubleshooter mit, wenn es auf Erden zur Sache geht, aber auch der Bundeskanzler, ein Bischof, Jedermanns Mutter, ein Bankier, ein Arzt und eine Gewerkschaftsfunktionärin treten auf. Ein gewaltiges Listing, dem das Hausensemble mit 16 Darstellern gewohnt gekonnt und spielfreudig wie gehabt entspricht. Kantig, aber nicht aalglatt; jähzornig robust, aber nicht gefühllos, gibt Pierre Siart den dauerpräsenten Generaldirektor unter dem permanentem Druck, irgendwelchen Ansprüchen genügen zu müssen. Hin- und hergerissen zwischen den mephistophelischen Anweisungen von Yvo Heinens weißmaskiertem Troubleshooter im knallroten Anzug, und Frau Mamas (souverän und glaubwürdig, Doris Endres) warmherzigen Mahnungen, zeigt sich Siarts Jedermann aber auch verwundbar und zu Gefühlen fähig. Für die Inszenierung ist das der Fels in der Brandung.
Die klischeehafte Typisierung noch jeder Figur mag dem Volksstückcharakter der Vorlage geschuldet sein, ihre schwankhafte Voraussehbarkeit wirkt freilich etwas unison. Ob Kanzler oder Arzt, Pfarrer oder Gewerkschafterin: korrupt und bigott sind sie alle. Dafür überrascht der Einstieg mit einem Aperçu: Als sich die Heilige Familie mit Richard Strauss‘ Zarathustra-Fanfaren zum Gerichtstag sammelt, hat Michael Böttchers Gott Vater sichtlich an Autorität eingebüßt. Jesus (Sebastian Lange), motziges Einzelkind, ist (trotz alledem) noch völlig angetörnt von Erdentrip und kabbelt sich permanent mit dem etwas piepsigen Heiligen Geist Vera Nießner. Bis der Herr ihn denn doch mit vertrautem Idiom zur Ruhe bringt: »Biste jetzt endlich still oder was?«. Der Teufel trägt rot und hessisch im Himmel! Laut und lang der verdiente Applaus.

Winnie Geipert (© Anja Kühn)
Termine: 22., 23. 29, 30. März, jeweils 20.30 Uhr. www.kellertheater-frankfurt.de

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