Bericht aus Bonn
Ein schwäbischer Pfarrerssohn, der in der Welt herumkommt, ein Weltmann mitten im Mief der Bonner Republik, Brandt-Intimus und Multi-Talent. Lebenskünstler, Dandy, Thomas-Mann-Biograph. Ein Stilist, der auch mit dem Stilett umgehen kann. Viel gearbeitet hat er ein Leben lang, selbst jetzt noch, im hohen Alter von 87, sodass er sich auf seinem Grabstein die Inschrift vorstellen könnte: »Wenigstens war er fleißig«. 1927 als Sohn eines Pfarrers in Stuttgart geboren, in Nürtingen aufgewachsen, erinnert er sich gerne an »Die Musikalität und die Sprache des Vaters … das große Geschenk meiner Kindheit.« Anfangs will er Dirigent werden, doch ihm fehlt das absolute Gehör. Die Melancholie der Mutter ist für ihn bedrückend, obwohl verständlich, zwei seiner Brüder sterben früh im Krieg, später Geborene an Krankheiten. 1946 kann er das Studium an der Münchner Journalistenschule nicht beginnen, weil er keine Unterkunft findet. Er wird Volontär bei »Christ und Welt«, steigt nebenbei lukrativ in den Schwarzmarkthandel ein, wird Kommentator beim RIAS, dann beim WDR, baut in Bonn das Studio des SFB auf, wird erster Korrespondent des ZDF in Washington, später Verlagsleiter im Fischer-Verlag usw., usw. Er begegnet den »Männern der ersten Stunde« Gerstenmeier, Adenauer, Kiesinger, wird Redenschreiber bei Willy Brandt, schreibt viele Bücher, u.a. eine hochgelobte zweibändige Biographie über Thomas Mann. Ein Weltmann, der in der Bundesrepublik Karriere machte. Es sind nicht nur die vielen brillant beschriebenen Anekdoten aus dem langen Leben als politischer Beobachter, seine sehr persönlichen Betrachtungen als junger Liebhaber, leidenschaftlich Liebender, die so faszinieren. Ihm scheint auch gelungen zu sein, was er so formuliert: »Im Glücksfall konnte Journalismus der Menschlichkeit ein wenig auf die Sprünge helfen.« Mit Brandt verbindet ihn bis zu dessen Tod eine ganz besonders innige Freundschaft. So ist es logisch, dass er Herbert Wehner als Intriganten beschreibt, der ständig an Brandts Stuhl sägte, der unkontrolliert losbrüllte und der »Intrigen mit dem Pathos des ungemütlichen Nonkonformisten tarnte.« Auch Helmut Schmidt bekommt sein Fett weg. Genüsslich, in funkelnden Formulierungen verstecken sich viele kleine Bosheiten, wahre Kabinettstückchen. Harpprecht beschreibt, aus nächster Nähe beobachtet, dessen Fauxpas und hochnäsiges Verhalten. Schmidt hielt zum Beispiel den Präsidenten Jimmy Carter für einen linkischen, provinziellen Erdnussfarmer. Um das Verhältnis der beiden zu verbessern, lud die Bundesrepublik Carters Schwester Ruth nach Deutschland ein. Schmidt empfing sie und plusterte sich über eine Stunde lang mächtig auf, was die höfliche Amerikanerin lächelnd über sich ergehen ließ. Später sagte sie zu Harpprecht: »Your Chancellor is a highly impressive man … He is so intelligent … But isn’t he a little insecure?« Harpprechts Fazit: »Er war gewiss der Kanzler mit den schlechtesten Manieren.« Süffisant beschreibt Harpprecht auch, wie Schmidt seine langjährige Geliebte Knall auf Fall abservierte, als er Kanzler wurde. Umgekehrt konnte der Kanzler mit dem Feingeist, den er »Brandt-Höfling« nannte, auch nicht viel anfangen. Die Frauen spielen bei Harpprecht, da ist er ganz Grandseigneur und Kavalier der alten Schule, eine große Rolle. Erstaunlich viele Politikerfrauen sind »hochgewachsene Blondinen«, graziös dazu. Rut Brandt, da geht sein Gaul endgültig durch, war für ihn »die eleganteste Dame in der Geschichte der Bundesrepublik«. Harpprechts Erinnerungen lassen sich aber überhaupt als eine berührende Liebeserklärung an seine Frau Renate Lasker lesen. 1952 lernte er die junge Journalistin in der BBC kennen. Ihre Eltern kamen im KZ um, sie und ihre beiden Schwestern überlebten mit großem Glück. Renate Harpprecht muss auch heute noch, neunzigjährig, eine beeindruckende, höchst imponierende Person sein. Dass die junge Jüdin mit traumatischen KZ-Erfahrungen Harpprecht in das miefige Nachkriegsdeutschland folgte und mit nüchterner Normalität auf die frisch bekehrten Kleinbürgerseelen reagieren konnte, spricht für sie. Seit über 30 Jahren leben die Harpprechts in einem kleinen Ort oberhalb von St.Tropez. Sie lieben das Leben und vor allem das Licht dort. Das titelgebend »schräge Licht« des Abends verändert im Rückblick auch »die Landschaft des eigenen Lebens«.