Der schmale Prospekt zur Vorstellung von »Der kleine Prinz« im Theater Landungsbrücken kündet einleitend zwar davon, dass praktisch jeder den vermeintlichen Kinderroman von Antoine de Saint-Exupéry kenne. Weil ihn aber gewiss nicht jeder gelesen hat, informiert die kleine und hier dringend empfohlene Lektüre aber trotzdem ausführlich. Und nicht nur über die Eckdaten der märchenhaften Begegnung eines Bruchpiloten mit dem kindlichen Bewohner des Asteroiden B612 in der Wüste. Sie beschreibt auch das Bühnenbild von Hanna von Eiff, erläutert die Besetzung der Bühnenfassung der von Dramaturgin Hannah Schassner und gibt für die anstehende Inszenierung von Sebastian Bolitz sogar Hilfe zu deren Interpretation. Wenn das kein Service ist! Nur schauen muss man selber, nicht nur mit den Augen, wie sich versteht.
Die Zuschauer aber werden von Beginn an mit einer Welt im Zwielicht konfrontiert, die so ganz und gar nicht nach dem naseweisen kindlichen Frage- und Antwortspiel aussieht, das der Leser sonst mit diesem Werk verbindet. Wir entdecken einen Baum, eine Rose, eine Lampe und eine Art Verkehrsschild auf der zunächst leeren mit Schotter (!) belegten Parkettbühne. In Zeitlupe, wie im freien Fall mit den Armen rudernd, erscheint seitlich Sven Marko Schmidts Pilot in voller Montur mit Stiefeln und Lederkappe zum langsam anschwellenden Ambient-Sound (Max Richter). Ihm gegenüber taucht Madara Möhlmanns erfrischend keck aufspielender Prinz in knielangen Pumphosen auf, der lockenprächtig und weißgetüncht in der Verwandtschaft von Radost Bokels Film-Momo angesiedelt 0ischeint.
Schon diese Eröffnung legt nahe, dass mit diesem kantigem Mann etwas nicht in Ordnung ist und dass die Geschichte einer vorsichtigen zögerlichen Annäherung , die wir von nun erleben, nicht unbedingt deckungsgleich ist, mit dem, was wir sehen. »Was wäre, wenn in die Einsamkeit der letzten Reise ein anderer tritt?« fragt der Prospekt.
Die Begegnung des sterbenden Piloten mit dem Prinzen ist nichts weniger als imaginiert und führt ihn mit den bekannten Episoden zu Bildern, Wünschen, Sehnsüchten seiner eigenen Kindheit.
Schub um Schub, untermalt von sphärischer Musik und poetischen kleinen Flugchoreografien, die sich – einmal mehr – Anna Orkolainen für die wunderbar gegensätzlichen Darsteller ausgedacht hat, geht diese Reise immer weiter. Doch es sind nicht nur Träume, die sich da Bahn brechen.
Mit dieser Arbeit hat sich Regisseur Sebastian Bolitz den Hirtengott Pan zum Ahnherrn erkoren, der im Schilf durch das Spiel des Windes mit den Halmen und mit der Musik auch die Musen entdeckte. Das passt ganz gut zu den spartenübergreifenden Arbeiten des Regisseurs. Saint-Exupérys »Der kleine Prinz« schreibt sein entstehende poetische Oeuvre eindrucksvoll fort.