Sehen oder Hören
Im Wien der 1770er-Jahre ist die 18-jährige Resi eine kleine Sensation. »Schön ist sie ja nicht. Aber spielen kann sie«, heißt es in den Salons der Stadt, in denen das Naturtalent als Pianistin auftritt. Resi, die mit vollem Namen Maria Theresia Paradis heißt, ist nämlich als kleines Kind erblindet, und in dem Maße, wie ihr die Sehkraft verloren gegangen ist, hat sich ihr musikalisches Gehör entwickelt.
Mehrere Versuche, mit Blei, Schwefel und elektrischem Strom Resis Augen zum Sehen zu bringen, sind fehlgeschlagen. Schmerzen quälen sie, auch wenn sie Klavier spielt. Doch Rettung naht in Gestalt des umstrittenen Heilers Franz Anton Mesmer. Den historischen Fall hat Alissa Walser in ihrem Buch »Am Anfang war die Nacht Musik« beschrieben, das es bis auf die »Spiegel«-Bestsellerliste gebracht hat.
Die Wiener Regisseurin Barbara Albert, die mit »Nordrand«, einem Film über die Auswirkungen des Jugoslawienkrieges im Nachbarland Österreich, bekannt geworden ist, hat zusammen mit der Drehbuchautorin Kathrin Resetarits aus der Vorlage einen einzigartigen Film geschaffen.
Das Leben einer hochbegabten jungen Frau zwischen Licht und Dunkel und schließlich der Moment, wenn sich erste Figuren und Formen im Nebel abzeichnen – das ist natürlich ein »filmisches Thema«. »Licht« versetzt denn auch den Zuschauer gleich zu Beginn in die Lage eines Menschen, der gerade neu sehen lernt. Resis mit subjektiver Kamera gefilmte Wahrnehmung ist der visuelle Kern des Films.
Doch nicht weniger interessant ist der klare Blick, den Barbara Alberts Film auf die Zeit des Rokoko wirft. »Licht« erzählt »von einem gesellschaftlichen System, das auf Verhinderung und Unterdrückung aufgebaut ist – und von Frauen, die versuchen, damit zurecht zu kommen und ihren eigenen Raum und ihre Freiheit innerhalb dieser restriktiven Strukturen zu finden«. So hat es die Regisseurin in einem Statement formuliert.
Nicht ohne Stolz wird Resi, die eine Gnadenpension der Kaiserin erhält, von den Eltern zum Vorspielen aufgefordert, lächeln soll sie und ruhig sitzen. Dabei sind ihre Augen entzündet, und sie leidet unter Kopfschmerzen. Doch die gemaßregelte Resi fügt sich. Erst als sie das Elternhaus verlässt, um sich von Mesmer in dessen Sanatorium behandeln zu lassen, entdeckt Resi so etwas wie einen Freiraum für sich. Denn Mesmer arbeitet mit Suggestion und Handauflegen, mit magnetischen Wellen, sagt er.
Devid Striesow spielt ihn, wunderbar schillernd zwischen Menschfreund und Quacksalber, der wissenschaftliche Anerkennung sucht. Seine Methode ist ja undurchschaubar, aber zumindest zeitweise wirkungsvoll. Zudem ist er Widerpart zu Resis autoritärem Vater, den Lukas Miko mit rechthaberischem Gestus spielt. Ganz besonders überzeugt aber Maria Dragus als Resi. Wie sie mit verdrehten Augen die Leidende spielt, wie sie sich den Anweisungen ihrer Mutter (Katja Kolm) fügt und später in Mesmers Klinik zwischen den anderen, teils sehr merkwürdigen Patienten und der Dienstmagd Agnes (Maresi Riegner) aufblüht, das ist hohe Schauspielkunst. Mit dem wiederkehrenden Gesichtssinn verflacht allerdings auch ihre Musikalität. Als ob sich bei ihr Hören und Sehen einander ausschlössen. Die historische Mademoiselle Paradis hat jedenfalls auch komponiert. Davon ist allerdings kaum etwas erhalten und unsicher, was tatsächlich von ihr stammt. Buch und Film entreißen diese weithin Unbekannte der Vergessenheit, und der Film »Licht« verbindet dies mit einer fesselnden Darstellung einer vergangenen Zeit.